Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschied und Wiedersehen

Abschied und Wiedersehen

Titel: Abschied und Wiedersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
eisig höflich fort: »Sie tun mir zuviel Ehre an, Herr Studienrat. Das Gedicht, das Sie soeben zur Erheiterung der Klasse vorgetragen haben, stammt leider nicht von mir, sondern von Friedrich Hölderlin - falls Ihnen der Name etwas sagt...«
    Die Klasse verstummte plötzlich, nur einer begann zu kichern wie eine kieksende Klarinette. Er war ziemlich spät in den Stimmbruch gekommen. Das Gesicht von Herrn Bluhm färbte sich grau, sein Kinn zitterte, er starrte mich aus glitzernden Augen an; ich lächelte verzeihend und hob die Schultern, wie um zu sagen, es sei zwar bedauerlich, aber wiederum auch verständlich, daß er als Mathematiker in den Schriften von Euler und Gauß besser zu Hause sei als im Werk Hölderlins... Und dann lief er nicht nur rot an, sein Kopf schwoll auf, als würde er im nächsten Moment platzen. Aber er platzte nicht. Mit einer Stimme, die richtig eingefroren klang, zischte er mich an, ich möge mich setzen, wandte mir den Rücken zu und stapfte aufs Katheder. Hinter mir wisperte jemand: »Du blöder Hund, jetzt hast du bei dem endgültig verschissen.« - Das brauchte mir niemand zu sagen, das wußte ich selber, aber ich hatte, als ich die Geschichte inszenierte, auch insofern richtig kalkuliert, daß Herr Bluhm nicht zum Chef laufen und von ihm verlangen würde, mich rauszuschmeißen. Dabei hätte er sich bis auf die Knochen blamiert. Er konnte mir nicht mehr antun, als was er mir bislang angetan hatte, bei meinem Anblick die Mundwinkel angewidert zu verziehen und die Daumen nach oben zu stellen. Aber er tat nicht einmal mehr das, ich war für ihn von Stund an einfach nicht mehr vorhanden, äußerst übel riechende Luft sozusagen. Nie wieder habe ich einen Menschen so gehaßt wie diesen Pauker. In Träumen, die sich durch Jahre hinzogen, habe ich ihn ermordet, vergiftet, gepfählt und unter phantastischen Foltermaschinen lustvoll zu Tode gemartert - und ich habe, als ich ihm - von ihm nicht erkannt - fünfzehn Jahre später auf einer Fahrt von Königsberg nach Allenstein zufällig im gleichen Zugabteil begegnete, fast fluchtartig das Abteil gewechselt, um nicht in Versuchung zu geraten, ihn während der Fahrt an die frische Luft zu befördern...
    Um diese Zeit warf ein Ereignis seine Schatten voraus, das uns länger als ein halbes Jahr in Atem halten sollte. Unser kleines Bauernbubengymnasium bereitete die Feier seines fünfzigjährigen Bestehens vor. Herrn Schott aus Groß-Golupken plagte der Ehrgeiz, nach dem >Schobbäng<, der zu Ehren der Toten und Gefallenen des Gymnasiums gespielt werden sollte, auch noch einen Satz aus einer Beethoven-Symphonie zu Gehör zu bringen. Am liebsten hätte er die ganze Neunte mit Chor und Orchester zur Aufführung gebracht, aber Ottokar Tichauer und Ernst Schmittat gelang es, ihn davon zu überzeugen, daß er mit den vorhandenen Kräften kleinere Brötchen backen müsse, und so entschied man sich für das Andante aus der Zweiten. Das gab für die Klarinetten ganz hübsche Aufgaben. Zu Hause dudelte ich meinen Leuten die Ohren bis zum Nervtöten voll, und wenn sie mich rauswarfen, ging ich zu Plaumanns, um dort weiterzuüben. Das nun hatte Vater Plaumann nicht allzu gern, denn er war ein musikalischer Mann, der bei falschen Tönen zusammenzuckte, und das konnte, wenn er einen Kunden gerade unter dem Messer hatte, üble Folgen haben. -Unser Chef Dr. Kröhnert, glühender Gräcist, hatte die Absicht, zur Krönung des Festes Die Perser von Aischylos in griechischer Sprache aufführen zu lassen. Er begann die Rollen bereits zu verteilen, aber da die beiden Primen nur aus sechs oder sieben Männerchen bestanden, von denen zudem noch der dicke Sahlmann und der zwergenhaft kleine Hans Bartlikowski - mit dem Spitznamen Maus -seinen Erwartungen weder als Sprecher noch als Schauspieler genügten, sah er sich gezwungen, auf die Sekunden zurückzugreifen. Dort wiederum haperte es mit den griechischen Sprachkenntnissen so erheblich, daß er sich schweren Herzens dazu entschließen mußte, die Tragödie in einer deutschen Fassung über die Bühne gehen zu lassen. Die schwierige, an das Gedächtnis hohe Anforderungen stellende Rolle des Unglücksboten, der der Königinmutter die Nachricht ihres Sohnes Xerxes bei Salamis und den Bericht der Schlacht zu überbringen hatte, bekam Ernst Schmittat. Atossa, die Mutter des Xerxes, zu spielen, wurde mir übertragen. Die Kostümierung der hohen Frau bereitete keine Schwierigkeiten, dazu genügte eins von Mutters Bettlaken. Die Krone

Weitere Kostenlose Bücher