Abschied von Chautauqua
Gedanke, dass sie wie Meg, er und seine Mutter waren, für immer verbunden.
Sein Vater war von ihnen getrennt, verloren.
Nur im Moment, dachte er und befürchtete dann, dass er sich bloß zu trösten versuchte. Er würde den Rest seines Lebens ohne ihn verbringen. Dreißig, vierzig Jahre. Es würde Tage, ja Wochen geben, wo er nicht an ihn denken würde, nicht einmal flüchtig, und das kam ihm falsch vor.
Meg war im Bad noch nicht fertig, also wartete er im Dunkeln, und der Spiegel reflektierte sein Hemd, seine seitlich herabhängenden Arme. Tropfen trommelten aufs Dach, und Ken hoffte, es würde am nächsten Tag nicht regnen. Er wollte das Putt-Putt und das Gas-n-Go fotografieren, die kurzen, von flimmernden Neonröhren erleuchteten Gänge. Er konnte die Nikon benutzen, das wäre keine Schummelei.
Die Tür ging auf, ein schwacher Lichtkeil fiel auf die Kinder.
«Das Bad gehört dir», sagte Meg. «Ich hab dir die Taschenlampe dagelassen.»
«Danke.»
Er war schnell, ließ das Wasser nicht lange laufen und setzte sich, damit er beim Pinkeln leise war. Als er das Bad verließ, lag Meg schon im Bett. Er knipste die Taschenlampe aus, legte sie auf die Zederntruhe, zog sich bis auf seine Boxershorts aus und stieg ins Bett. Vom Laken bekam er eine Gänsehaut, es überlief ihn eiskalt. Er musste sich aufwärmen, bevor er sich an Lise schmiegte, und lag, starr wie eine Mumie, mit geschlossenen Augen da.
Er dachte daran, dass sein Vater auf dem Homewood Cemetery so unter der Erde, den Steinen und dem dunklen, sternenübersäten Himmel lag. Er dachte an Tracy Ann Calers Familie, die wach lag und daraufwartete, dass jeden Moment das Telefon klingelte. Er fragte sich, ob er bei der Suche nach ihr irgendwie helfen konnte.
«Träum was Schönes», sagte Meg aus dem Dunkeln, wie sie es immer getan hatte, als sie noch klein waren.
Damals hatte sie es wörtlich gemeint, als Einladung in eine andere, bessere Welt am Ende des Tages. Jetzt kam es ihm nur noch wie eine liebevolle Gewohnheit vor, die überlebt hatte und kaum Schutz vor dem Leben bot, das in ihrem Innern vor sich ging, egal, ob wirklich oder bloß eingebildet. Und doch war sie es, damals wie heute, die es ihm zuerst wünschte und es auch aufrichtig meinte. Seine Schwester.
«Du auch», erwiderte er.
* 19
Womit sie das verdient hatte, war ihr ein Rätsel. Weder auf der Party noch in dem Zimmer, in dem sie sich befand, noch auf dem langen taubenblauen Sofa erkannte Ella irgendwen, und sie schien Champagner zu trinken, ihr Haar mattblond, starre Ponyfransen, die ihr in die Augen hingen. Ihre Zähne waren perfekt, ihre Zahnspange verschwunden. Gelächter, Musik, hinter ihr eine gemauerte Wand und ein Fenster, der Typ in dem schwarzen Anzug und den roten Socken redete.
Es tanzten so viele Leute, dass sie nicht verstand, was gesagt wurde, und dann war Sarah da und setzte sich direkt neben sie, so nah, dass sie den Glitzerlidschatten sah, den sie neulich ausprobiert hatten, und Ella wollte sagen: Lass uns von hier verschwinden, das istja verrückt, sie wollte Sarah bremsen, denn sie spürte, dass Sarah drauf und dran war, sich rüberzubeugen und sie zu küssen, wollte Sarah küssen, hatte sich so lange danach gesehnt sie zu küssen, und jetzt war es fast so weit, und Ella wusste nicht was sie tun sollte. Es würde passieren, ganz bestimmt, sie musste bloß darauf warten. Es ergab keinen Sinn, sie begriff nicht, warum Sarah in sie verliebt war, aber sie war trotzdem glücklich. Es war erregend und beängstigend. Jetzt war es so weit. Sarah beugte sich rüber, ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter entfernt, die Augen geschlossen, der Lidschatten glänzend. Ella wusste, dass sie sich von Sarah küssen lassen würde - hatte es die ganze Zeit gewusst, konnte nichts dagegen tun -, und dann war alles möglich.
* 20
Emily wachte auf, weil Rufus kläffte, Stimmen zu hören waren und ein rotes Licht in den Vorhangfalten blitzte. Ihr erster Gedanke war, dass die Polizei draußen war und sich um die Alarmanlage der Lerners kümmerte. Es dauerte eine wirre Minute lang, bis sie begriff, dass die Uhr auf ihrer Kommode blinkte und sie immer wieder eindringlich darauf hinwies, dass es genau Mitternacht war. Hinter der Wand toste die Geschirrspülmaschine.
«Ach, um Gottes willen», sagte sie, strampelte die Decke weg und nahm ihren Bademantel vom Haken. Sie wusste nicht, auf welche Zeit sie die Uhr
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