Abschied von Chautauqua
die Folie des Etiketts zerkratzt. Er drehte den Kronkorken ab, der auf seiner Haut eine Rötung hinterließ. Sie gab ihm die Pfeife wieder, und er stellte fest, dass er bloß einmal gezogen hatte. Es kam ihm vor, als wäre er schon stundenlang zugedröhnt.
«Was ist das für ein Zeug? »
«Es soll Thai sein. Ein Typ bei den Anonymen Alkoholikern hat es mir besorgt.»
«Ziemlich guter Stoff.»
«Es wirkt.»
«Wie kriegst du es hin?», fragte er - bevor er sich bremsen konnte. Er hatte sie noch nie gefragt, und es jetzt so spontan zu tun kam ihm falsch vor, als würde er ihre Privatsphäre verletzen.
«Nicht zu trinken? Indem ich nicht trinke. Es gibt kein Pflästerchen dagegen.»
«Das muss anstrengend sein.»
«Es bestimmt nicht mein ganzes Leben. Ich tue auch andere Sachen.»
«Tut mir Leid», sagte er.
«Mir tut es Leid, ich hab's einfach satt, darüber zu reden. Nimm's nicht persönlich, aber mit dem Bier da ist es ziemlich hart.»
«Das hast du mir doch gegeben», protestierte er. «So was kommt dabei raus, wenn man nett sein will.» Er trank einen Schluck, und die Bläschen breiteten sich sprudelnd auf seiner Zunge aus, ein Weizenfeld voll weißer Ballons, Wasser, das sich über eine « Herzlich willkommen »-Fußmatte ergoss und in die ummauerte Schleuse eines Kanals tropfte.
«Wetten, dass du es auch satt hast, über Jeff zu sprechen?» Die Worte kamen so schnell wie ein Gedanke, unzensiert.
«Er war ein Arsch. Schon bevor ich in die Reha gekommen bin, hat er auf der Arbeit mit seinem kleinen Häschen gevögelt. Das Ganze ist bloß eine große Seifenoper.»
«Tut mir Leid», wiederholte er und trat ihr auf den Fuß, als er sie umarmen wollte.
«Danke, und aua. Ja, eine kleine Blondine mit großen Titten. Es gibt nichts Erniedrigenderes, als wegen eines Klischees sitzen gelassen zu werden. Die Kinder wissen das natürlich nicht. Sie denken, alles ist meine Schuld.»
«Das denken sie bestimmt nicht.»
«Glaub's mir ruhig. Dad ist der lustige Kerl und Mom das Miststück. So läuft das.»
Er dachte an sich und Lise, an seine Mutter und seinen Vater und konnte es nicht leugnen.
«Das ist schon in Ordnung», sagte sie, ohne zu erklären, warum. «Lass uns mal nach dem Feuer sehen.»
Später erzählte sie ihm lachend, sie sei schon lange bevor sie Jeff kennen gelernt habe, zu dem Schluss gekommen, dass sie zu feige sei, sich umzubringen. Und noch später, als sie wieder klar im Kopf war und ein letztes Mal beschloss, ins Bett zu gehen, sagte sie, solche Zeiten habe sie schon öfter durchgemacht und überstanden. Sie tat alles mit einem Handwedeln ab, als wäre es nichts Ernstes, sondern bloß ein unangenehmer Geruch.
Er umarmte sie und schickte sie nach oben, schob dann allein die spröden, glühenden Holzscheite auseinander und bedeckte das Feuer mit Asche, wusste nicht genau, warum er an Megs Kraft gezweifelt hatte. Sie war Schwierigkeiten gewohnt, fühlte sich davon genauso angezogen, wie er dem Erfolg nachjagte. Ihr gelang es bloß besser zu bekommen, was sie haben wollte. Doch das befreite ihn nicht von dem Gefühl, dass er sie irgendwie im Stich gelassen hatte, ihr kein guter Bruder gewesen war.
Es war spät, und er fühlte sich, als hätte ihm jemand Salz in die Augen gestreut und sie dann in Essig gebadet. Der Lichtschein des Feuers reichte nicht bis zur Treppe. Er ging wie Frankenstein im Dunkeln, die Arme ausgestreckt, um den unsichtbaren Feind abzuwehren, und als er die Tür gefunden hatte, musste er nach oben kriechen und mit den Händen jede einzelne mit Teppichboden ausgelegte Stufe ertasten.
Die Kinder schliefen, aus dem Spalt der Badezimmertür drang der wässrige Schimmer einer Taschenlampe. Ella war eng zusammengekuschelt, Sam lag flach auf dem Rücken. Ken deckte die Kapuze von Justins Schlafsack über den Stoff-Tigger in seinen Armen.
Lise konnte er nicht sehen, sie war bloß ein Körper unter der Decke, ein Schatten auf dem Kissen. Es war schon nach zwei, und er wollte nicht, dass Lise erfuhr, wie lange er sich mit Meg unterhalten hatte. Am Fuß des Bettes leerte er langsam die Taschen und legte alles leise auf den niedrigen Schrank, ein Dieb im Rücklauf. Bei dem klimpernden Kleingeld befand sich auch die Ballantine-Ballmarke, die schmale Kante ein stumpfes Rasiermesser. Im Dunkeln konnte er die drei ineinander verschlungenen Kreise kaum erkennen, doch ihm kam der kosmische
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