Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
Mühsal des Lernens abgelenkt.
      Doch sie war kein Kind mehr, und nach Henry gab es nicht mehr viel, das sie noch lernen musste.
      «Bis dahin hab ich sie fertig», sagte Arlene.
      «Ich will damit keinem mehr auf die Nerven gehen.»
      «Ist das ein Versprechen?», fragte Arlene, und als Emily ihr einen beleidigten Blick zuwarf, versicherte sie: «Ich mach sie fertig.»
     
     
* 2
     
    Der Traum war nur Einbildung, wie sie es befürchtet hatte (es war zu einfach gewesen, zu gut), und Ella war wütend auf sich, weil sie geglaubt hatte, es könnte wahr sein. Es war unglaublich dumm zu denken, so was könnte ihr je passieren, genauso, wie es sich zu wünschen. So lief das in ihrem Leben nicht.
      Sie rechnete damit, sich zu verändern, aufzuwachen und festzustellen, dass sie nicht mehr genauso empfand - zu entdecken, dass der Bann, der auf ihr gelegen hatte, gebrochen war. Doch jeden Morgen war er noch da, und zwar noch stärker, falls das überhaupt möglich war, und die vorübergehende Zeit machte sie rasend, obwohl sie nichts dagegen tun konnte. Zum ersten Mal verstand sie, was ihre Mutter meinte, wenn sie sagte, ihre Nerven hielten das nicht mehr aus. Jeder Augenblick erschien ihr hoffnungslos, als könnte sie wirklich verrückt werden.
      Das Schlimmste daran war, dass sie wusste, wie viel liebenswerter Sarah und wie jämmerlich sie selbst war. Ella hatte das Gefühl, dass sie die ganze Zeit log, jede Sekunde, die sie miteinander verbrachten. Sarah würde das kalte Grausen kriegen, wenn sie wüsste, dass Ella sie beim Schlafen beobachtete - genauso wie es Ella grauste, dass sie an ein anderes Mädchen dachte.
      So war sie nicht, war es wenigstens noch nie gewesen. So wollte sie nicht sein.
      Aber Sarahs Gesicht. Ihre dünnen Lider, die zarte Nasenspitze. Die Stelle, wo sich ihre Oberlippe abflachte und auf dem Weg zum Mundwinkel voller wurde. Schon ihr Name - Sarah! -  viel schöner als ihrer. Sarah war klug und witzig und nett. Sie würde wahrscheinlich versuchen, freundlich zu bleiben, nicht über sie zu lachen. Sie würde versuchen, es zu verstehen.
      Ella rollte sich auf die andere Seite und kehrte Sarah den Rücken zu. In ihrem Kopf ging so viel vor sich, und doch blieb der Rest der Welt aufreizend unverändert. Ihre Eltern und Tante Margaret schliefen noch, am Fuß ihrer Betten aufgehäufte Schmutzwäsche. Das Licht, das durch die Vorhänge fiel, war weiß und reichte nicht bis zur Zimmerdecke. Schon wieder Regen. Der Teppich sah aus wie ausgefranstes Garn, eine Mischung aus Rot, Weiß und Blau. Sie konnte kaum glauben, dass jemand so was Hässliches kaufte.
      Sie ertappte sich dabei, dass sie am Daumennagel kaute, als würde sie sich mit einem unlösbaren Problem herumschlagen, und hörte sofort auf. Es war so blöd. Sarah war ihre Cousine, sie kannte sie schon, seit sie klein waren.
      Sie konnte nicht beantworten, warum sie plötzlich in sie verliebt war. Es gab keinen Grund, genauso wenig, wie es einen Grund dafür gab, dass sie sich innerhalb von drei Tagen in eine Lesbe verwandelt hatte.
      Sie war in Jungs verschossen gewesen, ihr Blick war ihnen in den Fluren oder in der Cafeteria gefolgt, ihre Namen waren ihr aus Gesprächen entgegengesprungen, ihre Lieblingshemden waren auch ihre geworden, aber sie hatte nie etwas unternommen. Freitagabends beim Tanzen war sie mit Torie, Kim und Caitlin zusammen, sie waren eine Clique. Trotz all ihrer Spekulationen darüber, wer wen mochte, hatte noch keine von ihnen wirklich jemanden geküsst.
      Dazu hatte sie auch bei keiner von ihnen Lust, aber sie waren auch nicht so hübsch wie Sarah. Ella musterte die drei anderen nie, nur ihre Kleider.
      Vielleicht läuft das so, dachte sie. Es war nicht wie eine Einweihung in die Hexerei, da musste man unter der Anleitung eines Mentors üben und eine Lehrzeit absolvieren. Man war es einfach. Aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht glauben.
      Vielleicht lag es daran, wie sie sich unter der Dusche berührte, und diese heimliche Liebe zu ihr selbst breitete sich aus und suchte zum Üben jemand Schöneren. Vielleicht hatte sie Angst vor Jungs, so gruselig, wie sich Sex bei Torie oder Mrs. Greco im Hygieneunterricht anhörte.
      Ella stand auf, sah Sarah absichtlich nicht an und ging ins Bad. Sie schloss die Tür hinter sich ab, stellte die Dusche an und zog ihren Schlafanzug aus. Sie beschloss, nicht nachzudenken. Stattdessen beobachtete sie, wie sich die Dampfwolken, aufgewühlt

Weitere Kostenlose Bücher