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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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gelogen, vermutlich seit dem Tag, an dem sie sich kennen lernten. Sie wusste, dass das nicht stimmte, aber es hätte durchaus sein können. Ihre schöne gemeinsame Zeit war ihr gestohlen worden.
      Sie hatte ernsthaft daran gedacht, Stacey umzubringen. Auch wenn es ihr jetzt absurd vorkam, wie eine Szene aus einem zweitklassigen Film, hatte sie sich einen einfachen Plan überlegt - sie würde sich ihr auf dem Parkplatz bei der Arbeit nähern, als wollte sie Jeff besuchen, und sie, bevor sie die Wagentür öffnen konnte, erschießen, würde vor ihr stehen und die ganze Munition abfeuern, dann die Waffe auf sie fallen lassen und weggehen (sie nicht mal ins Gesicht treten, das würde den Effekt zerstören). Ans Gefängnis hatte sie dabei nicht gedacht. So weit war der Plan nicht gegangen, nur bis zu dem Ziel, Stacey umzubringen. Aber das waren bloß Hirngespinste. Damals hatte sie ihre ganze Energie gebraucht, um nicht durchzudrehen, und war außerstande gewesen, irgendetwas zu tun, das so komplizierte Überlegungen erforderte.
      Doch hier war sie, zurück im Land der Freien, nüchtern und verantwortungsbewusst, verändert und - das konnte sie zugeben - voller Angst vor ihrem neuen Leben als dieser fremde Mensch. Vielleicht hatten die Frauen in den rosa Jacken Schlimmeres durchgemacht, sexueller Missbrauch durch die Eltern, gefolgt von brutalen Ehemännern. Und wer wusste schon, was aus den Jugendlichen ringsum werden würde, wenn sie die Schule beendet hatten, heirateten und selbst Kinder bekamen. Sie waren noch so jung und alberten in den Gängen herum, ein Mädchen jagte einem Jungen hinterher und schlug mit einer Videohülle nach ihm, der Junge blieb stehen, sodass sie mit ihm zusammenstieß, und beide lachten. Meg hätte ihnen am liebsten gesagt, dass sie so bleiben sollten, sich nicht durch Dummheit und Lügen verderben lassen, sondern sich Würde und Hoffnung bewahren sollten für die Zeit, in der sie beides brauchen würden.
      «So viel dazu», sagte Lise.
      Sie waren bei den wenigen Zs angelangt, drehten sich mit leeren Händen um und sahen die Regale voll älterer, nach Kategorien aufgegliederter Videos durch, die Bilder auf den Hüllen sonnengebleicht, seltsam verfärbt. Es überraschte Meg immer, wie viele sie schon gesehen hatte. Irgendwo hier drin standen die klassischen Trinkerfilme, Das verlorene Wochenende und Leaving Las Vegas, Tausende von Hollywood-Affären, Scheidungen und Autounfällen, alles wahr und zugleich unwahr, alles letztlich auf Meg selbst verweisend.
      «Sehen wir unter Komödien nach», sagte Lise.
      «Gute Idee», erwiderte Meg. «Ich hab Lust auf was Hirnloses.»
     
     
* 17
     
    Sie lagen sich gegenüber und spielten Streitpatience, in ihre Schlafsäcke gehüllt, mit Limonadendosen und einer Tüte Kartoffelchips auf den langen Nachmittag eingerichtet. Oben war alles grau und dunkel, als wäre schon Winter. Das Fenster an der Treppe war mit Regentropfen gesprenkelt. Sie lagen, auf die Ellbogen gestützt, auf ihren Kissen und knallten die Karten auf den grässlichen Teppich - stießen manchmal vor Aufregung aneinander und lachten. Und dann kam nichts. Ungeduldig drehten sie ihre Dreien um aber es brachte nichts. Kreuz-sechs, Herz-acht.
      «Karo-Bube, Karo-Bube», rief Ella. «Los, Karo-Bube.»
      Eins zwei drei, eins zwei drei...
      «Da hast du ihn», sagte Sarah und dann legten sie los. Am Schluss ging es schnell, aber Ella legte den letzten König ab. Sie spielten zu Ende und zählten, wie viele Karten von beiden Blättern noch übrig waren, ohne richtig aufzupassen. Dann mischten sie, hoben wieder ab.
      «Fertig? Los.»
      Ella dachte, es hätte aufgehört zu regnen, aber der Regen wurde wieder heftiger und trommelte wie Hufgetrappel aufs Dach. Sie war froh, mit Sarah allein zu sein, etwas zu haben, auf das sie sich beide konzentrieren konnten. Sie war überzeugt, dass sie jeden Moment mit einem Satz herausplatzen würde, den sie nicht mal in Gedanken geübt hatte, und dass sie ihn abbrechen würde, bevor er eine Form annehmen konnte. Sie würde rundweg sagen: «Ich liebe dich», «Ich hab mich in dich verliebt» oder «Ich glaub, ich bin in dich verliebt» - würde einfach drauflosreden und Sarah das Ganze hinknallen, als wäre es ihr Problem.
      Denn sie war in Sarah verliebt. Sie war wütend darüber (als wäre sie reingelegt worden), aber es war nun mal passiert. Ständig musste sie an sie denken, sie wollte ständig mit ihr zusammen sein, sie

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