Abschied von Chautauqua
Blick auf einen höher gelegten Geländewagen, der auf einem der Behindertenparkplätze stand und schnalzte mit der Zunge. Meg dachte, dass es wahrscheinlich bloß ein Jugendlicher war, der Videos zurückbrachte. Im Gegensatz zu den Nörglern in der Reha neigte sie dazu, sich nicht um solche Kleinigkeiten zu kümmern. Wenn sie etwas gelernt hatte, dann, dass es nichts brachte, Recht zu haben.
«Hast du eine Karte?», fragte Lise, während sie den Parkplatz überquerten.
«Hier.» Es war die Karte aus dem Sommerhaus, die immer noch auf den Namen ihres Vaters lief. In all den Jahren, in denen sie Videos ausgeliehen hatte, war nie eine Frage gestellt worden. Dass er tot war, war ihnen egal, solange sie ihr Geld bekamen.
Wie in der Book Barn war es gedrängt voll, bloß dass hier die Kunden hauptsächlich Einheimische und viel jünger zu sein schienen - Mädchen in Windjacken mit Werbeaufschriften für High School-Softballteams, Jungs mit ausgeblichenen Baseballkappen und lächerlichen Koteletten, zwei dicke Frauen in den Zwanzigern mit rosa Jeansjacken und Gürteltaschen. Sie drängelten sich an der ganzen Wand mit den neuen Filmen entlang, von denen einige schon über drei Jahre alt waren. Über ihnen, auf den Monitoren an der Decke, liefen Filmausschnitte, als Anreiz, Filme auszuleihen, die trotz ihrer großen Stars beim Publikum durchgefallen waren. Durch den Lärm, das Gedränge und den dünnen roten Teppichboden hatte der Laden dieselbe ruhelose Atmosphäre wie ein Kasino. Zu Hause hätte Justin gefragt, ob er mitkommen dürfe, damit er sich ein Videospiel ausleihen konnte, und Sarah hätte sich geweigert mitzufahren und gesagt, sie solle nach einem Teeniefilm gucken, dessen Namen sich Meg nicht merken könnte, doch hier war die Aufgabe ganz einfach: zwei Filme, die sich die Kinder und auch die Erwachsenen gern ansehen würden.
Beim Buchstaben C waren sie schon ziemlich entmutigt. Auf den meisten Hüllen wurden gewalttätige Actionfilme beschrieben, die sich weder Erwachsene mit Selbstachtung noch Kinder anschauen wollten. Ihrer Mutter würde Disney nicht gefallen, und Lise sagte, Mrs. Doubtfire hätten sie gerade erst im Fernsehen aufgenommen. Es gab einen ganzen Abschnitt, vom Fußboden bis zur Decke, mit Eddie Murphys Dr. Doolittle, aber trotz der prahlerischen Versprechungen waren alle Exemplare ausgeliehen.
«Der verrückte Professor?», schlug Lise vor.
«Schon gesehen.»
«Star Trek Next Generation?»
«Mindestens dreimal.»
«Nie haben sie was Vernünftiges.»
Als sie dem Alphabet nach weitergingen, wurde die Auswahl nur noch schlechter. Eine der Schauspielerinnen aus einem Film, der ein Softporno zu sein schien, sah Jeffs Freundin Stacey verblüffend ähnlich, so sehr, dass Meg fast die Hülle herausgeholt hätte, um sicherzugehen, dass sie es nicht war, aber dann hätte Lise es mitgekriegt. Das konnte nicht sein - Stacey war leitende Vertriebsanalytikerin -, doch im Stillen sprang Meg auf die Möglichkeit an, Beweismaterial gegen sie zu finden, als könnte Jeff durch Staceys Entlarvung als Hochstaplerin erkennen, dass er im Unrecht war, und würde zu Meg zurückkommen. Diese Vorstellung stammte aus einer Julia Roberts-Komödie, wo am Ende das Gute siegte, aber sie spukte ihr unbestreitbar im Kopf herum. Sie hatte an Märchen geglaubt. Egal, wovor ihre Anwältin sie gewarnt hatte, während der Reha hatte sie immer geglaubt, dass alles in Ordnung sein würde, sobald sie das Ganze überstanden hätte, und Jeff hatte sie in dem Glauben gelassen. Wenn sie anrief, war er überschwänglich gewesen und hatte gesagt, sie würden sie vermissen, sie lieben, sie wollten bloß, dass sie sich erholte und wieder nach Hause kam. Der Anruf war für sie der Höhepunkt der Woche gewesen, ihre einzige Verbindung zur Außenwelt, und wenn es Zeit zum Gehen gewesen war, hatte sie nie auflegen wollen und jedes Mal den Abschied hinausgezögert.
«Ich liebe dich», hatte sie dann gesagt.
«Ich liebe dich auch.»
«Gib den Kindern einen dicken Kuss und eine Umarmung von mir.»
«Mach ich.»
Es hatte eine Pause gegeben, die Gelegenheit zu sagen: Okay, gute Nacht, doch sie hatte sie ungenutzt verstreichen lassen.
«Ich vermisse dich», hatte sie gesagt, und dann hatten sie nochmal von vorn angefangen. Später hatte sie sich gefragt, ob er sich damals schon mit Stacey traf, und ihr gerechtfertigtes Misstrauen hatte ja gesagt, er habe schon die ganze Zeit
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