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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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immer in die Augen stieß, nicht ansehen. Es war, als käme man auf eine Party voller guter Freunde, und die Erinnerungen, die jedes Möbelstück und all der Nippes auf dem Kaminsims im Vorbeigehen weckten, kreisten wie aufgeschnappte Gespräche. Er dachte, dass er später noch Zeit hatte, malte sich aus, wie er alles mit der Holga festhalten würde.
      Er schleppte die Taschen nach oben, in das lange Zimmer unter dem Dachfirst, wo sie schlafen würden. Auch dort war der Fußboden mit einem Zottelteppich ausgelegt, aber in Rot, Weiß und Blau, und die Kommodenschubladen und alles, was von dem geziegelten Schornstein zu sehen war, hatten sie anlässlich der Zweihundertjahrfeier in den gleichen Farben gestrichen. Die Wände waren aus einem alten himmelblauen Pressspan, weich wie Kork und an den Fugen schon bröckelig. Rings um die Nägel sah er die Spuren der Hammerschläge seines Vaters. Hier oben war die Vergangenheit überall zu spüren - Flaschendrehen und Stille Post, Meg, die ihren Zigarettenrauch aus dem Fenster blies und verbotenerweise Bier trank, während ihre Eltern die Lerners und Wisemans auf der Veranda bewirteten. Da vor dem Spiegel auf dem niedrigen Schrank stand die 7UP-Flasche mit dem gekrümmten Hals, die sein Vater für ihn auf dem Rummelplatz in Mayville gewonnen hatte, und da auf der Zederntruhe zwischen den Betten der Aschenbecher, den er im Sommerlager angefertigt hatte, wo er so lange auf die Metallplatte einhämmerte, bis sie die Gestalt des Blattes auf dem Boden der Form annahm. Der Fernseher, der schon seit zwanzig Jahren nicht mehr funktionierte, das Feuerwehrauto, mit dem er als Kind gespielt und an dem Ella sich mit drei Jahren das Kinn aufgeschnitten hatte. Das Zimmer strotzte so vor Geschichten, dass er sie abwehren und sich darauf konzentrieren musste, alles für die Kinder herzurichten. Irgendwann würde er Zeit haben - und hoffentlich auch das richtige Licht. Sein Blitzgerät hatte er nicht dabei.
      «Kannst du den Ventilator anstellen?», rief Lise aus dem Bad, und er suchte den Schalter. Der Ventilator war oberhalb der Treppe in die Wand eingelassen; er machte nichts als Lärm, selbst wenn Ken die beiden Fenster auf der anderen Seite öffnete. Es roch muffig und leicht süßlich nach dem Kot von Generationen von Fledermäusen, die in den Wänden genistet hatten. Nachts konnte man ihr Rumpeln und Quieken hören, und Sam hatte sich lange geweigert, hier oben zu schlafen. Er hatte immer noch Angst davor, doch inzwischen blieb ihm kein eleganter Ausweg, ohne dass Ella ihn als Baby bezeichnet hätte.
      «Können wir zum Steg runtergehen?», fragte Ella. Sam stand direkt neben ihr, als wäre er ihr Schützling.
      «Wenn ihr eure Sachen weggeräumt habt. Und zwar ordentlich.»
      «Und beim Bettenmachen geholfen habt», rief Lise.
      «Die sind schon gemacht», sagte Ella.
      «Wir müssen sie frisch beziehen.»
      Ella seufzte.
      «Und kein Gestöhne.»
      «Jawohl, Mutter.» Ella zog es ins Lächerliche, doch als sie kurz darauf ein Spannbettlaken aufziehen wollte, wäre sie fast in Tränen ausgebrochen. «Das blöde Laken passt nicht.»
      Lise kam aus dem Bad und sah sich das Ganze an. «Das liegt daran, dass es ein Doppelbett ist.»
      «Wie soll ich das denn wissen ? »
      «Kein Grund zum Heulen», sagte Lise. «Hier, das ist Queen-size, das müsste passen.»
      Sam hatte seine Sachen inzwischen in die Kommode gesteckt und stand da und beobachtete die beiden.
      «Ken», forderte Lise ihn auf, «hilf ihm mal bei dem anderen», und Ken hörte auf, ihre Toilettenartikel ins Medizinschränkchen zu räumen.
      Als sie fertig waren, ließ Lise die Kinder zum Steg gehen und räumte die restlichen Kleidungsstücke ein.
      «Sie macht aus jeder Mücke gleich einen Elefanten. Und es wird immer schlimmer.»
      «So schlimm ist es doch gar nicht.»
      «Wart's mal ab», sagte sie halbherzig. Sie wussten beide, dass sie mit Ella Glück gehabt hatten. Sam war das Problem und würde es immer bleiben. Jungs waren angeblich nicht so schwierig, aber auf ihn traf das nicht zu.
      Im Zimmer war es schummrig. Draußen ging die Sonne unter, das Licht wurde weicher. Lise zog ihr Buch aus der Strandtasche, einen der Harry Potters von ihren Kindern. Ken packte seine Kameratasche aus, die paar Sachen, die er dabeihatte. Er würde bis morgen warten, früh losziehen und sehen, ob er etwas Einfaches fand, womit er anfangen konnte. Sie streckte sich auf dem Bett aus

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