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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Wenn es regnete, hatte er den Grill immer direkt unter die Kastanie gestellt, und der Rauch war zwischen den Blättern hindurchgequollen. Vor seinem Vater hatte sich stets sein Großvater Maxwell um den Grill gekümmert. Jetzt war Ken an der Reihe.
      Der letzte Schluck bestand größtenteils aus Luft. Er warf die Flasche hoch, fing sie mit einer Hand auf wie ein Revolverheld und holte sich eine neue. Das Innere des kleinen Kühlschranks beeindruckte ihn durch seine Schlichtheit, die Bierflaschen, die er letztes Jahr gekauft hatte, immer noch in Reih und Glied, das Gefrierfach zugefroren. Er sah vor sich, wie das Foto aussehen würde (auch davor hatte ihn Morgan gewarnt), und schloss die Tür. Außer einem Eiersalat-Sandwich in der Nähe von Albany hatte er den ganzen Tag noch nichts gegessen; er musste vorsichtig sein mit dem Bier. Als er sich das letzte Mal betrunken hatte, war er gegenüber Lise ganz rührselig geworden und hatte sich bedankt, dass sie bei ihm geblieben war. Am nächsten Tag hatten sie sich beide erbärmlich gefühlt.
      «Wie weit sind die Kohlen?», rief Arlene von der Küchentür.
      Die Spitze der Pyramide brannte, doch in der Mitte waren die Holzkohlen noch ganz dunkel. Es dauerte jedes Mal länger, als man dachte.
      «Fünf bis zehn Minuten.»
      «Wollen alle Käse draufhaben ? »
      «Alle außer Sam.»
      Er zog den Stecker heraus, strich die Kohlen mit dem glühenden Draht glatt und legte ihn dann auf den Betonboden vor der Garage. Rufus war klug genug, sich davon fern zu halten, doch Ken vergewisserte sich mehrfach, dass nichts Feuer fing.
      Der See lag wieder ruhig da, die Flaggen am Ende des Stegs hingen schlaff herunter. Die Sonne stand knapp über den Baumwipfeln und warf lange Schatten. Auf dem Feld auf der anderen Straßenseite fraß eine Kaninchenfamilie unter den Apfelbäumen. Sie hielten sich dicht bei den Büschen am Rand des Feldes, braune Knäuel im dunklen Licht, die Backen ständig in Bewegung, während sie am Gras nagten. Er zählte fünf Stück, eins noch ganz klein. Diese langsam verstreichenden Momente würde er vermissen, wenn das Sommerhaus verkauft war.
      Er dachte, dass er kein zweites Bier hätte trinken sollen.
      Er hielt eine Hand über die Kohlen, die jetzt größtenteils grau waren, und steckte den runden Grillrost auf die Stange.
      Lise war in der Küche und half Arlene, die einen Topf grüne Bohnen auf den Boden verschüttet hatte. Als er zur Tür hereinkam, schnitt Lise eine Grimasse. Er ermahnte sie mit ernster Miene, und sie gab ihm zu verstehen, dass er keinen Spaß verstand.
      «Sind die Kohlen schon so weit?», fragte Arlene.
      Die Hamburger lagen auf einem Teller. Er schnappte sich einen Pfannenwender, nahm sie mit nach draußen, schob sie auf den Grill und beobachtete, wie das Fett tröpfelte und Flammen aufloderten. Sam und Ella waren vom Steg zurückgekehrt und setzten sich auf die Veranda. Ken hörte, wie seine Mutter ihnen Fragen stellte. Lise und Arlene bereiteten den Salat zu. Er drehte die Hamburger um, wobei einer fast durch den Rost gefallen wäre, doch er konnte ihn mit der Hand festhalten und wischte sich die schmierigen Finger im Gras ab. Die Hamburger waren dick und würden lange brauchen, und er fragte sich, wo Meg blieb, kein bisschen überrascht, dass sie zu spät kam. Heute Nacht würden sie miteinander reden, lange nachdem seine Mutter und dann, widerwillig, auch Lise ins Bett gegangen waren, und sie würde ihm von Jeff erzählen und genau sagen, was passiert war. Hoffentlich. Obwohl es nie dazu kam, glaubte er immer, dass sie gemeinsam jedes Problem lösen könnten, indem sie darüber redeten, so wie sie sich als Kinder zusammengetan hatten, sie beide gegen den Rest der Welt.
      Es sah so aus, als hätten sie diesen Kampf verloren - oder vielleicht auch nur er, seine Enttäuschung gab allem eine andere Färbung. Doch Meg kämpfte wirklich. Er hatte sich seine Probleme selbst ausgesucht. Diesen Luxus hatte sie nie gehabt.
      Er hatte das Gefühl, sie im Stich gelassen, sich weder genug um sie gekümmert noch ihr geholfen zu haben. Nicht dass sie auf ihn gehört hätte. Monatelang hatte sie sich nicht gemeldet, und dann hatte sie so gut wie jeden Tag angerufen und so lange mit ihm gesprochen, bis ihm das Ohr wehtat. Sie hatte sich immer bloß beklagt, über Jeff, die Kinder oder ihre Therapeutin. Sie hatte gesagt: «An manchen Tagen melde ich mich krank und leg mich einfach ins Bett und lese. Ich

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