Abschied von Chautauqua
mehr genau, warum sie eingewilligt hatte. Jocelyn konnte ihn nicht leiden. Und außerdem sei Emily noch so jung, hatte Jocelyn gesagt, und er sei so... sie wisse auch nicht - so mittelmäßig, was hieß, dass er aus Pitts-burgh stammte und nicht den Ehrgeiz hatte, in großem Stil in New York zu leben, was Jocelyns fixe Idee vom Erfolg war. Im Grunde ihres Herzens wusste Emily, dass das stimmte. Er war ernsthaft, langweilig und freundlich, und das Ganze war ein schrecklicher Fehler. Es tat ihr Leid, doch sie musste die Sache abblasen. Es würde ihm das Herz brechen, aber es war das Richtige. Sie durften sich nicht wegen einer falschen Entscheidung ein Leben lang hassen.
Ihr Vater hatte die Tür geöffnet, steif in seinem geliehenen Smoking, sein dünnes Haar mit Pomade geglättet, als wären es noch immer die wilden zwanziger Jahre, das Gebiss schief im Mund. Es war, als würde sie durch einen Albtraum gleiten, den dunklen Flur entlang und nach hinten, wo die Brautjungfern zu der von ihrer Mutter ausgewählten Musik dahinschritten. Sie hatte sich auf die Seite stellen müssen, damit niemand sie sehen konnte, und dann war ihr Vater losgegangen und sie ihm gefolgt, ihr Arm in seinen geschlungen, mit ihm gleichziehend, sodass sie die ihr zugekehrten Gesichter sehen konnte, die ihr Kleid und ihr lächerliches Dekollete begierig in sich aufsaugten. Sie hatte einen Blumenstrauß umklammert, auch wenn es ihr ein Rätsel war, wer ihr den gegeben hatte.
Ein Blitzlicht leuchtete auf, und sie blickte verwirrt hoch. Dort, ganz vorn im Gang, wartete Henry aufrecht stehend mit seiner Nelke im Knopfloch.
Sie wollte stehen bleiben und mit ihm darüber reden, ihre Einwände vernünftig vorbringen, aber sie ging und hielt Schritt mit ihrem Vater, versuchte, Tante Ingrid, Mrs. McKenna und Carol Darling im Vorbeigehen anzulächeln, dann ließ ihr Vater ihre Hand los, und sie stand vor Henry, umgeben vom Flackern der Kerzenflammen, und bevor sie sich bremsen konnte, warf sie ihm die Arme um den Hals und brach in Schluchzen aus, ohne zu wissen, was das bedeutete, doch sie hielt sich an ihm fest, drückte ihr Gesicht an seine harte Brust und sagte, es tue ihr Leid.
«Istja gut», sagte er. «Bald ist alles vorbei.»
Schon der Klang seiner Stimme beruhigte sie. Er war nett, er war gut. Sie war eine dumme Gans, und während sie sich mit dem Handrücken die Tränen abwischte, trat sie einen Schritt zurück und wandte dem Pfarrer das Gesicht zu, schniefend, doch zur Einsicht gebracht, sicher jetzt, bereit, ihr gemeinsames Leben zu beginnen, wie auch immer es aussehen mochte.
Was Gott vereint hat, soll der Mensch nicht trennen. Ihn lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten. Bis dass der Tod uns scheidet. Die Worte waren Furcht erregend, auf eine Art wirklich wie nie zuvor und niemals nachher.
Sie glaubte ihm; alles würde gut werden. Solange ich bei ihm bin, dachte sie, wird es mir gut gehen.
* 5
Das Mittagessen zog sich endlos hin, von der Aussicht und dem sich drehenden Raum war ihr schwindlig, und dann kam Sam beim Nachtisch rüber und öffnete die Faust, um Lise einen blutigen Zahn zu zeigen. Sie hatte nicht mal gewusst, dass er locker war.
«Schon lange», sagte er.
«Seit wann?»
«Seit letzter Woche.»
«Hast du das gewusst?», fragte sie Ken.
«Er hat schon eine Weile gewackelt.»
Ken nahm den Zahn, wickelte ihn in eine Serviette und steckte sie in die Tasche, damit er später Zahnfee spielen und einen Zettel und einen neuen Golddollar unter Sams Kissen schieben konnte.
«Wo war ich denn die ganze Zeit?», fragte sie.
* 6
In dem feuchten, abwärts fahrenden Aufzug waren sie in eine Ecke gezwängt, Sarah an Ella gedrückt, als folgten ihre Körper einer natürlichen Anziehung wie Magneten oder der Schwerkraft. Ella versuchte, nicht darauf zu achten, wie sie sich fühlte, sich nicht auf Sarahs weiche Haut auf ihrem Arm zu konzentrieren, und dann bewegte sich Sarah, die Verbindung riss ab, und Ella sehnte sich danach zurück'
Sie starrte direkt über die verschlossene Tür, wo eigentlich Zahlen stehen sollten. Alle außer ihrem Vater mussten diese blöden durchsichtigen Ponchos tragen. Sam hatte kein Sweatshirt mitgenommen, obwohl ihre Mutter es ihm gesagt hatte, also hatten sie ihm für viel Geld eins kaufen müssen, und jetzt jammerte er wegen seinem Zahn und dass ihm heiß wäre und er was trinken wollte. Sie hatten so lange
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