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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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leuchtete in einem seltsamen Orangerosa. Als sie an einer Abfahrt vorbeifuhren, betrachtete sie den Verkehr auf der unter ihnen liegenden Straße, die Restaurants voller Familien, von denen einige in Grüppchen wie Kinder vor der Schule anstanden und warteten, bis sie aufgerufen wurden.
      Hinter einem Appleby's warf ein Mädchen in einer grünen Uniform, das nicht viel älter war als Sarah, Pappkartons in einen Müllcontainer. Sie war blond und hatte ihren Pferdeschwanz hinten durch ihre Schirmmütze gezogen. Sarah drehte sich um und beobachtete sie, folgte mit dem Blick ihrer schwindenden Gestalt, als sie wieder reinging, und stellte sich die Leute vor, mit denen sie zusammenarbeitete, die Witze, die sie rissen, das Radio, das in der Küche lief. Sarah dachte, dass sie wahrscheinlich ein eigenes Auto hatte und ihre Mutter um nichts bitten musste. Sie würde ihr Geld sparen, um zu fliehen. Eines Tages würde sie einen Koffer voll Kleider mitnehmen und einen Brief zurücklassen, und dann würde ihr richtiges Leben anfangen, einfach so. Vielleicht morgen, vielleicht nächste Woche. Dann, wenn sie bereit war. Das einzig Schwierige wäre, was sie in dem Brief schreiben und an wen sie ihn richten sollte.
     
     
* 13
     
    Arlene war froh, dass Margaret fuhr. Der schwere Unfall, den sie gehabt hatte, war in der Dämmerung passiert. Sie hatte am Frick Park an einem Stoppschild gehalten, in beide Richtungen geschaut und gedacht. es wäre alles frei, aber die geparkten Autos direkt neben ihr hatten einen entgegenkommenden Wagen verdeckt, und als sie losfuhr, war sie ihm direkt vor die Stoßstange gerollt. Keiner war schwer verletzt worden, sie hatten bloß einen Schock erlitten, und die Frau hatte ihre Scheinwerfer nicht eingeschaltet, deshalb war Arlene nicht allein schuld gewesen, doch seitdem war sie an Stoppschildern immer vorsichtig, besonders um diese Tageszeit. Inzwischen musste das zwanzig Jahre her sein.
      Wie viele tausend Kilometer war sie in ihrem Leben gefahren? Der Erdumfang, das rief sie ihren Schülern gern ins Gedächtnis, betrug nur vierzigtausend Kilometer, und ihr Taurus hatte bereits über hundertzehntausend zurückgelegt. Mit dem Volvo war sie über dreihundertzwanzigtausend gefahren, bevor er den Geist aufgab, und nochmal zweihundertvierzigtausend mit der Klapperkiste von Peugeot, dessen Karosserie ihr so gut gefallen hatte (obwohl Henry sie davor gewarnt hatte), und vorherwaren da noch die beiden Chevys gewesen, der Olds, den sie von ihrer Mutter geerbt, und der rostige Ford, den sie während des Studiums gefahren hatte. Anderthalb Millionen Kilometer. Die Zahl kam ihr unwahrscheinlich, ja geradezu angeberisch vor, da sie nicht gern fuhr, doch es summierte sich. Sie war ungefähr vierzigmal um die Welt gefahren, und doch erinnerte sie sich ganz deutlich an ihren einzigen Unfall, hielt die Erinnerung daran wach, immer auf der Hut.
      Sie war versucht, es als Analogie zu ihrem einzigen Versuch in der liebe zu betrachten, einer Katastrophe, die sie von jedem weiteren Risiko abgehalten hatte, aber es war nicht dasselbe und es war sinnlos, das Ganze nochmal durchzugehen, wenigstens hier.
      Im Fonds schliefen die Jungs, ihre Sitze zurückgestellt wie beim Zahnarzt. Sie suchte nach einer Lucky, aber die Schachtel war leer.
      «Kann ich mir eine borgen?», fragte sie und hielt Margarets Schachtel Marlboros hoch.
      «Ich könnte auch eine gebrauchen.»
      Der erste Zug schmeckte süß, und Arlene betrachtete überrascht ihre Zigarette.
      «Schmeckt sie nicht gut?», fragte Margaret.
      «Sehr gut.»
      Sie machten gleichzeitig das Fenster auf und lachten.
      «Bist du sicher, dass ich nicht deine Tochter bin?», fragte Margaret. Einen Augenblick hatte Arlene Lust, eine Geschichte zu beichten, die direkt aus einem Buch der Brontes stammen könnte, ein Heim für missratene Töchter, eine verhüllte Hebamme, die unter einem blutroten Mond ein Bündel durch den Wald schmuggelte. In gewisser Hinsicht stimmte das auch - schon bald würde Margaret alles sein, was von ihr auf der Erde noch übrig war, und die Gedanken an Augenblicke wie diesen würden aufsteigen wie ihre eigenen Erinnerungen an ihren alten Peugeot oder Walters Gesicht ein paar Zentimeter über ihr.
      «Ziemlich sicher», sagte sie.
     
     
* 14
     
    Er schlug im Dunkeln die Augen auf und hob den Kopf von dem schimmeligen Kissen.
      Draußen war ein Knallen zu hören, gefolgt von Stimmen - sie kamen -, und er streckte

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