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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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zu ihnen einladen wollte?
      Jeden Tag war die Flagge noch oben, noch oben, noch oben, und dann war sie unten, und Sarah ging barfuß raus, trat vorsichtig auf und blätterte den Stapel durch, während sie wieder die Einfahrt raufging, aber es war alles für ihre Mutter. Sonntags gab es keine Post, dienstags kam sie ganz früh und bestand bloß aus Reklame, und plötzlich war es August, und sie mussten zum Sommerhaus fahren.
      Und da hatte sie nachgegeben und ihm geschrieben, ihm einen kurzen, sorgfältig formulierten Brief geschickt, in dem stand, dass sie ihn vermisste und ihm einen schönen Sommer wünschte. Ihr ginge es gut, und sie würde langsam braun, er würde bestimmt kaum glauben, wie dunkel ihre Haut schon war. Sie hätte sich einen neuen Badeanzug gekauft. Sie hatte sogar gewitzelt, dass sie es satt hätte, jeden Tag am Briefkasten zu warten, aber das wäre jetzt sowieso vorbei, weil sie wegführen. Wenn er zurückschreiben wollte, könnte er diese Adresse benutzen. Als sie ans Ende gekommen war, hatte sie sich gefragt, wie sie unterschreiben sollte, und hatte sich schließlich für «Liebe Grüße» entschieden. Liebe Grüße, S., hatte sie geschrieben, den Umschlag verschlossen und zur Sicherheit noch einen Marienkäfer-Sticker daraufgeklebt.
      Sie hätte den Brief vielleicht gar nicht abgeschickt, wenn sie ihn auf ihren Schreibtisch gelegt hätte, aber sie wollte auch nicht, dass ihre Mutter ihn sah, deshalb hatte sie ihn zusammen mit ihrem eingerollten Handtuch in ihren Rucksack gleiten lassen, ihre Flip-Flops gesucht, war losgefahren und hatte an dem Briefkasten Ecke Buckboard Lane gehalten und den Brief, mit gespreizten Beinen über dem Fahrrad stehend, eingeworfen. Das Metall war heiß gewesen, und über dem Briefkasten hatte die Luft geflimmert. Sobald die Klappe zugeschlagen war, wollte sie den Brief zurückhaben, aber es war zu spät, und eigentlich war sie froh. Wenn sie es nicht getan hätte, dann hätte sie im Sommerhaus die ganze Zeit an ihn denken müssen. Am Pool hatte sie sich vorgestellt, wie das Postauto kam, um alles abzuholen, wie der Beamte den Briefkasten aufschloss, alles in einen Sack lud und dann wegfuhr, als hätte sie mit dem Brief nichts zu tun. Als sie auf dem Heimweg an dem Briefkasten vorbeikam, hatte sie sich gefragt, ob der Brief wohl schon weg war.
      Das war vor einer Woche gewesen, und dieser Brief hier war am Montag in Petoskey abgestempelt. Dann hatte er also ihren Brief erhalten und sofort geantwortet. Sie wünschte, sie wüsste noch genau, was sie ihm geschrieben hatte, jedes einzelne Wort.
      Am Samstag würde sie ihn sehen. Das kam ihr monatelang vor, aber es waren bloß noch drei Tage. Zweieinhalb.
      Sie drehte den Umschlag in den Händen, schlitzte ihn dann auf einer Seite mit dem Fingernagel so weit wie möglich auf, schob den Finger in das Loch und riss ihn auf.
     
     
* 16
     
    «Dein Anrufbeantworter blinkt», rief Margaret.
      «Augenblick!» Emily füllte in der Küche Rufus' Wassernapf auf, stellte ihn vorsichtig in die Ecke, und Rufus drängte sich an ihr Knie. «Bitte sehr», sagte sie, und er blickte beim Saufen hoch, als wollte er sich bedanken.
      «Okay.» Sie sauste ins Wohnzimmer. « Warum brüllst du denn so?»
      Den Anrufbeantworter hatten sie sich erst spät angeschafft und keinen geeigneten Platz dafür gefunden. Sie musste sich über die Armlehne des Sofas beugen und unter die Lampe greifen, um auf den Knopf drücken zu können. Er wurde so selten benutzt, dass sie überrascht war, zwei Nachrichten vorzufinden.
      «Hallo, Mrs. Maxwell», sagte Mrs. Klinginsmith, «hier spricht Dorothy Klinginsmith. Wenn Sie nichts dagegen haben, schicke ich am Freitag einen Mann vorbei, der die Kläranlage inspiziert. Ich komme mit und regle alles, damit Sie nichts damit zu tun haben, ich wollte Sie bloß vorwarnen.»
      «Konnte das nicht bis nächste Woche warten?», fragte Margaret.
      Noch immer auf den Anrufbeantworter konzentriert, zuckte Emily bloß mit den Schultern und wartete auf die zweite Nachricht. Hoffentlich war es Mrs. Klinginsmith, die den Termin wieder absagte. Der Gedanke, dass jemand sie an ihrem letzten Tag im Sommerhaus störte, war entsetzlich.
      «Hallo Leute», sagte ein Mann, und es dauerte einen Augenblick, bis Emily Jeffs Stimme erkannte.
      «Dad!», rief Justin und drehte sich vom Fernseher um.
      «Wahrscheinlich seid ihr gerade mit dem Boot draußen oder so was Ähnliches. Ich ruf morgen

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