Abschied von Chautauqua
Einkaufstüten zum Wagen rausgegangen und hatte eine voll Müll und eine voll Getränkedosen gepackt. Ihre Mutter kam nicht mal auf den Gedanken, deshalb fuhren sie in einem Wirrwarr aus zerknitterten Straßenkarten, zusammengerollten Doritos-Tüten und benutzten Papiertaschentüchern, die Türtaschen voll klebriger Rugrat- und Darth-Maul-Figuren.
«Habt ihr alle genug zu essen gehabt?», fragte ihre Mutter bei der nächsten Abfahrt, und Sarah bemühte sich, laut und deutlich zu antworten. Justin nuschelte, und ihre Mutter meckerte sofort an ihm rum. Sarah warf ihm einen warnenden Blick zu: Sei nicht dumm. Sie deutete auf die Salatfetzen auf seinem Hemd, und er wischte sie ab, ohne dass ihre Mutter es merkte.
Er klopfte auf sein Handgelenk; sie hielt zwei Finger hoch, das hieß: noch zwei Stunden. Sie waren noch in Ohio, noch vor Cleveland. Sie verschränkte die Hände und legte die Wange darauf, als würde sie schlafen, dann deutete sie auf ihn. Es war längst Schlafenszeit. Sam und Ella würden so spät nicht mehr auf sein, nur noch die Erwachsenen. Ihre Mutter würde sie beide sofort ins Bett schicken, dann Justins Zahnbürste suchen und ihm schließlich sagen, er soll einfach die von Sarah benutzen.
Er wollte noch nicht einschlafen. Schweigend saßen sie da, ihre Gesichter bald im Schatten, bald lichtzerschnitten, in immer neuen Mustern. Auf der Gegenfahrbahn dröhnten Lastwagen vorbei, die nach Westen fuhren. Sie war sich nicht sicher, ob sie Mark vermisste. Er versprach, ihr zu schreiben, und tat es dann doch nicht. Wahrscheinlich war er noch sauer wegen letztem Mal und benutzte das als Vorwand. Er hatte mehr haben wollen, als sie zu geben bereit war, und war beleidigt gewesen, als sie es ihm abgeschlagen hatte.
Es war nicht ihre Schuld. Das sagten alle. Liz und Shannon hielten ihn beide für einen Trottel. Sie stellte ihn sich im Sommerlager vor, wie er kleinen Kindern das Bogenschießen beibrachte. So wie sie auseinander gegangen waren, würde er bestimmt denken, es wäre sein gutes Recht, jemand Neues kennen zu lernen. Sie konnte sie geradezu vor sich sehen, eine Blondine mit Pferdeschwanz und strammen Waden. Sie hieß bestimmt Tiffany oder Ashley. Irgend so eine dumme Kuh.
Ihre Mutter zündete sich eine Zigarette an und öffnete das Fenster einen Spaltbreit, schaltete das Radio ein, geriet bei der Suche nach einem Sender kurz über den Mittelstreifen und kehrte dann auf ihre Fahrspur zurück. Schließlich entschied sie sich für Uraltrock und drehte den Ton leiser. Sie trommelte im Takt der Musik aufs Lenkrad, und ihre Asche fiel auf die Fußmatte. Die nächste Raststätte war fünfundachtzig Kilometer entfernt. Sarah lehnte sich im Sitz zurück und hoffte, einschlafen zu können.
Auf dem eingestellten Sender lief zu viel Werbung. Kurz vorm Einschlafen wurde sie von den Stimmen geweckt und versuchte, die Augen zu entspannen, die Augenmuskeln zu vergessen, nichts mehr zu sehen. Ihr Vater hörte sich auf Reisen immer Jazz an, lange, heisere Soli, zu denen sie quer durchs Land glitten. Er brachte ihnen die Namen der Berühmtheiten bei, damit sie raten konnten, wer gerade spielte. John Coltrane, Charlie Parker. Es gab sogar einen Typen, der wie sie Flöte spielte, sie konnte sich bloß den Namen nicht merken. Sie hatte ihre Flöte mitgenommen, um diese Woche zu üben und Grandma und Tante Arlene etwas vorzuspielen. Im nächsten Schuljahr würde Justin mit Tenorsaxophon anfangen, dann konnten sie im Duett spielen. Ihr Vater würde kommen und es sich anhören, vielleichtwürde er ihre Musik auf Band aufnehmen, damit er sie auf der Fahrt zur Arbeit oder zu Grammys Haus auf der Upper Peninsula, auf der langen Strecke zwischen den Kiefern hören konnte. Bei Thelonious Monk lächelte er immer und spielte auf dem Armaturenbrett, als wäre es ein Klavier.
Wahrscheinlich war er jetzt gerade in seiner Wohnung und guckte Fernsehen. Das eine Mal, als sie und Justin bei ihm zum Abendessen gewesen waren, hatten sie sich Austin Powers angeschaut. Es war nicht so witzig gewesen, wie sie erwartet hatte, wahrscheinlich weil ihr die Wohnung fremd war - die Teller, die sie noch nie gesehen hatte, die Gläser mit den Blumen drauf, das grüne Sofa. Aber Justin hatte sich totgelacht. «O, benimm dich, Baby!», hatte er in der folgenden Woche ständig gesagt, und jedes Mal hatte sie an das enge Bad gedacht, an die Einkaufstüte, die ihr Vater als Abfalleimer unters Spülbecken gestellt hatte. In der
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