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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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auf, das Rauschen eines Wasserstrahls, das dann plötzlich abbrach. Sie hatten das friedliche Ende des Abends erreicht, die Kinder schliefen, Emily lag im Bett, und doch fühlte sich Lise weder erlöst noch frei, sondern eingeengt, die Dunkelheit drückte gegen die Fenster. Wenn nur Ken und sie im Zimmer wären, wäre es etwas anderes, doch das gemeinsame Schweigen wirkte ziemlich gezwungen. Den Fernseher einzuschalten wäre taktlos. Man konnte bloß nach draußen gehen, doch dann würden einen alle anstarren und sich fragen, wo man hinging und was man vorhatte.
      Auf der anderen Seite des Zimmers richtete sich Arlene in ihrem Sessel auf und knipste ihre Lampe aus. Sie erhob sich, zog eine wattierte Jacke an, die schon seit dreißig Jahren aus der Mode war, und sah nach, ob ihre Zigaretten in der Tasche steckten.
      «Ich mach jetzt mit Rufus seinen Spaziergang, falls jemand mitkommen will.»
      Lise sah darin eine Gelegenheit, sich zu verabschieden, und sagte Ken, sie gehe nach oben. Er wirkte enttäuscht, als wollte er sagen: Bleib doch, es ist noch früh.
      «Geh nicht so spät ins Bett», sagte sie. «Denk dran, dass ihr morgen Golf spielen wollt.»
      Wenn er die ganze Nacht mit Meg aufbleiben wollte, war das seine Entscheidung, doch während sie oben auf dem Klo las, schaute sie immer wieder auf ihre Armbanduhr.
      Sie hatte den Game Boy auf dem Kühlschrank vergessen. Es spielte keine Rolle.
      Harry Potter war langweilig. Sie wünschte, sie hätte sich das Oprah-Buch gekauft. Langsam wurde sie genauso geizig wie Ken.
      Sie legte Harry auf den faserigen halbmondförmigen Teppich vor ihren Füßen und rieb sich mit den Händen das Haar, ihre Kopfhaut lose auf ihrem Schädel. Mit den Händen auf den Ohren konnte sie eine starke Erschütterung wie bei einem Erdbeben oder einer kilometerweit entfernten Büffelherde hören. Warum war sie so müde? Sie hatte doch bloß im Auto gesessen. Vom Schlangestehen tat ihr der Rücken weh. Sie wischte sich ab, zog ihre Unterwäsche aus und erblickte ihr Gesicht im Spiegel.
      «O Gott», sagte sie, als würde sie für irgendwen einen Scherz machen.
      Sie nahm drei Advil, spülte sie mit einer Hand voll Schwefelwasser hinunter, aber der süßliche Geschmack blieb. Als sie das Medizinschränkchen öffnete, verschwand ihr Gesicht aus dem Spiegel. Sie kehrte ihm den Rücken zu, um sich die Zähne zu putzen.
      Sie beschloss, nicht zu lesen. Sie legte sich auf die Seite an der Wand, damit Ken nicht über sie hinwegkrabbeln musste. Das Bettlaken war eiskalt, ihre Kopfschmerzen noch deutlicher zu spüren. Sie hörte das gleichmäßige Zischen von Ellas Schnarchen. Sie fragte sich, ob Ken einen Dollar hatte, den er Sam von der Zahnfee geben konnte, denn sie wusste, er würde es sowieso tun, so hart konnte er nicht sein. Sie auch nicht, das würde Sam bald herausfinden.
      Sie war bloß frustriert, da sie mit allen um Ken konkurrieren musste. Das war sie nicht gewohnt oder war es hier zu sehr gewohnt, hatte es satt, gegen dieselben alten Gespenster zu kämpfen. Bei ihren Besuchen gab es jedes Mal den Moment, wo sie entnervt war, ihre Welt ein Provisorium, irgendwelchen Urkräf-ten ausgeliefert. Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass diese Stellung, so unveränderlich sie auch schien, nur vorübergehend war, dass sie in ein, zwei Tagen nach Hause fahren würden und all das verschwinden, sich bloß in einen wöchentlichen oder, in Megs Fall, einen monatlichen Anruf verwandeln würde. Ihr Leben würde ziemlich ungestört weitergehen. Ganze Tage lang würden nur sie sich unterhalten. Sie würden ins Bett gehen und dann zusammen aufwachen, das Frühstück zubereiten und sich um die Kinder kümmern, nur sie beide, die Rechnungen und die Katastrophen auf NPR ihre einzige Sorge.
      Sie fand, dass es sie beunruhigen müsste, wie sehr sie sich an diese Hoffnung klammerte, denn im Grunde war sie falsch - ihre Probleme waren größer, als sie zugeben wollte -, und doch beunruhigte es sie nicht. Die Woche würde unweigerlich zu Ende gehen. Ken würde schließlich ins Bett kommen, sich zuerst zu ihr drehen und dann auf die andere Seite rollen, damit sie sich an ihn schmiegen konnte. Sie musste bloß Geduld haben und ihre auf der Zederntruhe tickende Armbanduhr vergessen. Es würde nicht mehr lange dauern.
     
     
* 18
     
    Ohne den Regen merkte Arlene, wie laut es in der Nacht war, wie unruhig und ausgelassen. Sie mochte die Frösche drüben am Jachthafen, die

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