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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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einen Lärm machten wie aufgeschreckte Vögel, die Zikaden, die in den Bäumen den Takt angaben. Als sich Rufus dem Steg näherte, hüpften Frösche ins seichte Wasser, ein Klang wie von einer Hand voll Steine, und als die Bäume der öligen Reglosigkeit des Sees Platz machten, zeigte sich der Himmel, ein Bassin voller Sterne.
      Arlene blieb stehen und legte den Kopf zurück, starrte die Sterne an wie ein Kind, vor Freude den Mund weit offen. Es gab Dinge im Leben, die Macht über sie hatten, Dinge, die man nicht leugnen konnte - den Herbst, Schubert, ein Kind, das etwas lernen wollte. Vermutlich stellten sie ihren Glauben wieder her, so wie das Institut jeden Sommer ihre Mutter gestärkt hatte. Das war der Grund, warum sie an den See kamen, warum sie sich durch die ganze schlechte Laune und das weiche Wasser, die klumpigen Kissen und verregneten Tage durchwurstelten. Am liebsten wäre sie zum Haus zurückgelaufen und hätte Margaret nach draußen geholt, damit sie es sah, diesen Beweis für Güte oder Belohnung, doch sie wusste, das würde dieses Gefühl zerstören, und es würde sich verflüchtigen wie die kurze Illusion, die es in Wirklichkeit war.
      Auf dem Steg wartete Rufus auf sie, stocksteif, als könnte sie weggehen und ihn zurücklassen.
      «Immer mit der Ruhe.» Sie trat auf die Planken, was ihr ganz anders vorkam als tagsüber.
      Es ging nur ein leichter Wind, das Wasser war kaum zu sehen. Rufus ging mit trappelnden Krallen voran.
      «Ach, jetzt kannst du nicht auf mich warten», sagte sie, doch er lief weiter, da er sich sicher war, wo es hinging.
      Die Bank war nass. Arlene wischte mit der Hand drüber, doch das kalte Wasser drang durch ihre Hose, und Arlene setzte sich aufrecht hin, sog den Atem durch die zusammengebissenen Zähne. Sie zündete sich eine Zigarette an und schob die andere Hand unter die Achsel, um sie zu wärmen.
      Der Mond verstrahlte überraschend viel Licht. Es lag trüb auf dem Wasser und warf die Schatten der Pfähle aufs Motorboot. Falls noch ein Platz frei war, würde sie morgen vielleicht mit ihnen rausfahren. Als Henry das Boot gekauft hatte, waren sie zu dritt über den See gebraust, hatten abwechselnd am Steuer gesessen, waren über Wellen gehüpft, durch Kurven geschlittert und hatten das Wasser hinter sich aufgewirbelt. Er hatte im Stehen gelenkt und über die Windschutzscheibe geschaut, mit nackter Brust und Ray Ban-Brille, eine Dose Bier in der Hand. Sonnenverbrannt, blond gebleicht waren sie zurückgekehrt, ihre Haarwurzeln pulsierend vom Wind. Sie hatte sich gewünscht, Walter könnte sie so sehen, als hinreißendes Strandhäschen, aber er konnte natürlich nicht kommen. Sie hatte Henry von ihm erzählt, davon überzeugt, dass er ihr Geheimnis für sich behalten würde, selbst wenn er es missbilligte, und das hatte er auch getan - es missbilligt und auch für sich behalten.
      «Ich glaube, du machst dir was vor», hatte er immer gesagt oder «Meiner Erfahrung nach läuft das nicht so » oder «Lass das bloß Emmy nicht hören», doch er hatte sich aus Arlenes Angelegenheiten herausgehalten.
      Sich einzumischen wäre sein gutes Recht gewesen. Ihre Liebe war ungeziemend. Sie war Walters Hilfskraft gewesen, sie beide waren auf dem Campus herumgeschlichen und hatten sich, wenn die übrigen Fachbereichsmitglieder nach Hause gegangen waren, in seinem dunklen Büro getroffen. Sie konnte sich noch immer an das seltsam erregende Gefühl erinnern, wenn sie nackt auf der kühlen Lederintarsie seines Schreibtischs ausgestreckt lag, das Muster des geblümten Rands in ihre Haut geprägt. Er hatte einen Plattenspieler gehabt, den er immer laufen ließ, wenn sie miteinander schliefen, und an den Wochenenden, wenn er von Frau und Tochter in Anspruch genommen wurde, war sie durch die Plattenläden gestreift und hatte nach einem Stück gesucht, das beschrieb, was sie für ihn empfand.
      An ihrem letzten Montag hatte sie eine Aufnahme von Prokofjews Liebe zu den drei Orangen mitgebracht. Sie hatten sie sich nicht angehört. Stattdessen war er mit ihr zum Ramble gefahren und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, während sie durch die knöcheltiefen Blätter gestiefelt waren. In ihrer Wohnung hatte sie die ungeöffnete Platte in den Müll geworfen und fast eine ganze Schachtel Zigaretten geraucht, bevor sie Henry anrief, erst dann war sie in Tränen ausgebrochen. Den ganzen Herbst hatte er sich um sie gekümmert, hatte sie zum Essen überredet und

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