Abschied von Chautauqua
sagte Sam bestimmt.
Aber er war sich immer sicher. Letzten Winter hatte sie in der Schule dreimal im Fundbüro nach seiner neuen Skijacke suchen müssen. Er konnte nicht erklären, wie sie da gelandet war. Nie war er an irgendwas schuld, es passierte ihm einfach.
«Hast du ihn im Restaurant dabeigehabt?»
«Nein.»
«Ella, hast du den Game Boy deines Bruders gesehen ?»
«Nein», fauchte sie, als hätte Lise ihr Vorwürfe gemacht. Sie war noch immer wütend auf Sam, weil er ihr während des Rumalberns vor dem Zubettgehen den Ellbogen in den Mund gerammt hatte. Ihre Zahnspange hatte ihr die Lippe aufgerissen, und Lise hatte eingreifen müssen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Es schien ihm ungeheuer schwer zu fallen, sich zu entschuldigen. Sie würde es Ella zwar zutrauen, dass sie den Game Boy aus Rache stahl, doch im Gegensatz zu Sam würde sie ihr nicht ins Gesicht lügen.
Im Zimmer herrschte ein heilloses Durcheinander, verstreute Kleider, Handtücher auf dem Fußboden. Lise war zu müde, um sie alles aufheben zu lassen, ihre Geduld auf der Fahrt aufgebraucht, und hinter ihrem Auge breitete sich ein Kopfschmerz aus wie eine Geschwulst. Sie dachte, dass sie Advil nehmen sollte, doch die Flasche befand sich in ihrem Kulturbeutel auf dem Toilettenkasten.
«Also, wenn er nicht im Auto ist und du ihn auch nicht im Restaurant vergessen hast, dann muss er hier irgendwo sein. Vielleicht können wir hier morgen mal aufräumen.»
Sam seufzte, unzufrieden mit ihrer Antwort, doch sie hielt sich zurück. «Ich sehe unten nach. Ich sehe nicht ein, warum du ihn jetzt brauchst, denn du kannst ja sowieso nicht damit spielen, du hast schon mehr als die eine Stunde gehabt, aber ich suche danach. In der Zwischenzeit kannst du dich damit amüsieren.»
Sie nahm das billige Blechteleskop, das Ken ihm bewilligt hatte, von dem niedrigen Schrank und gab es ihm. Er hielt es in der Hand, als wüsste er nicht, was es war.
«Gute Nacht», sagte sie.
Er antwortete kaum hörbar, von Justin übertönt. Sie nahm ihr Buch von der Zederntruhe, entschlossen, sich nicht über ihn aufzuregen. Auf dem Weg zur Treppe kniete sie sich hin und fragte Ella, ob alles in Ordnung sei, und Ella bejahte kühl.
Im Schatten des Treppenhauses sammelte sie sich, eine Schauspielerin, die auf ihr Stichwort wartete. Der Tag war zum Glück schnell vorübergegangen. Sie hatte vor, eine Weile zu lesen und sich dann zu entschuldigen, egal, ob Ken bereit war raufzugehen oder nicht. Sie hätte unheimlich gern ein Glas Wein getrunken, aber es war schon spät, und wegen Meg musste sie vorsichtig sein. Sie holte tief Luft und ging runter, drehte den Knauf und öffnete allein durch ihr Gewicht die Tür.
Arlene war über das Puzzle gebeugt, ein Schälchen Eis neben sich. Meg saß am anderen Ende des Sofas neben der Lampe, die Beine zur Seite gestreckt. Emilys Abwesenheit löste bei Lise keine Erleichterung, sondern Besorgnis aus, als würde sie ihr irgendwo auflauern. Sie ließ ihren Blick über den Boden wandern, konnte das leuchtend gelbe Gehäuse jedoch nirgends sehen.
«Hat jemand von euch Sams Game Boy gesehen?»
«Nein», sagten beide.
«Ist dein Auto offen?», fragte sie Meg.
Es war offen, und als sie rausging, um nachzusehen, sah sie, dass in der Garage das Licht brannte. Eingerahmt von der Tür stand Ken mit einer großen Golftasche in der Hand da, während Emily sie mit einem Lappen abwischte.
Lise schlich vorbei, zog die Tür des Busses leise auf, und die geölten Rollen glitten die Laufschiene entlang. Im Licht der Innenbeleuchtung beugte sie sich über die alten Pommes frites und Lutscherstäbchen, die auf dem Teppichboden klebten, und verzog unwillkürlich das Gesicht. Sie verdrehte den Kopf, um unter die Sitze zu schauen, sah aber bloß fettige Tüten und eingedellte Becher, Strohhalme, die durch den Spalt im Deckel geschoben waren. Sie musste reinklettern, um in den Türtaschen auf der anderen Seite nachzusehen und dann in den Taschen auf der Rückseite der Sitze, die mit ausrangierten Karten und Atlanten voll gestopft waren.
Während sie verkehrtrum auf dem Sitz kniete, überlegte sie, ob sie in dem Restaurant anrufen sollte. Bei der Auskunft würde man den Namen wissen. Sie konnte sich sogar vorstellen, dass er das Ding auf die Maid of the Mist mitgenommen hatte - so süchtig war er. Sie wünschte, es wäre weg. Nein, denn wenn es wirklich weg war, würde ihm
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