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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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des Alltäglichen. Er wusste, wie viel Zeit und Geduld das erforderte. Genau das hatte er beim Sommerhaus vor, doch er hatte kaum angefangen. Morgen war Donnerstag, der halbe Tag mit Golf ausgefüllt. Er würde die Holga mitnehmen. Bei den Abschlägen und Grüns, beim Fahren des Wagens würde er Zeit haben - nicht zu viel, genau wie Morgan gesagt hatte.
      Sie kamen am Jachthafen von Ashville vorbei und nach Busti rein, wo eine andere Geschwindigkeitsbegrenzung galt. Die Tankstelle mit dem Gemischtwarenladen und der Ice Cream Shack hinten auf dem Schotterplatz waren geschlossen, das war nicht verwunderlich. In Gegenrichtung fuhr ein Lieferwagen vorbei, dann zwei Autos, noch zwei, ein stetiger Strom nach Norden.
      Erst als sie unter der Eisenbahnüberführung bei Lakewood hindurchgefahren waren, sahen sie, dass die ganzen Autos vom Parkplatz des Großkinos kamen. Das Dairy Queen zur Linken war noch immer geöffnet, Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes durch beleuchtete, einen Meter hohe Eistüten mit einem Kringel obendrauf gekennzeichnet.
      «Sehr schön», sagte Meg.
      «Was meinst du, wie oft die jedes Jahr gestohlen werden?»
      «Ich würde eine nehmen. Auf jeden Fall.»
      Die Steigung beim Restaurant, wo man ihnen bei ihrem einzigen Besuch blutiges Hähnchen serviert hatte, an dem heruntergekommenen Motel und dem auf dem Parkplatz abgestellten Wohnwagen vorbei, dann waren sie in Lakewood mit seinen orangen Straßenlaternen und zusätzlichen Fahrspuren, vor und hinter ihnen Autos, die sonderbare Vertrautheit der nächtlichen Stimmung auf dem Lande durch die wuchernde Einkaufszeilenhässlichkeit von Wal-Mart und Rite Aid ersetzt. Das Blockbuster lag weiter vorn, die Farben seiner Neonreklame zogen die Autos an.
      «Du hast die Videos, oder?»
      «Ich dachte, du hättest sie», erwiderte sie, und als er sich ihr bekifft und ungläubig zuwandte, hielt sie sie hoch. «Du bist so leichtgläubig.»
      Aus Angst, er könnte den Lack des Wagens zerkratzen, fuhr er im Schritttempo zu der Rückgabebox und musste dann die Tür aufmachen, um an den Schlitz zu gelangen. Obendrüber hing Tracy Ann Calers Gesicht. BITTE HELFEN SIE, MICH ZU FINDEN, stand auf dem Zettel, nebst allen näheren Informationen, und Ken dachte unsicher, dass er ihn mitnehmen würde, wenn er allein wäre, ein makabres Andenken. Das musste er mit der Holga fotografieren, eine ganze Serie.
      «Was hältst du von einem Eis?», fragte er Meg, damit sie keine Fragen stellte, doch bei Dairy Queen hing am Autoschalter dasselbe Bild. Einsdreiundsechzig, fünfzig Kilo. Während das Mädchen mit dem Kopfhörer eine Rolle Fünfcentstücke wie ein Ei auf der Kassenschublade aufschlug, um ihm das Wechselgeld zu geben, hatte er Zeit, sich alles einzuprägen. Ihm fiel Sams Zahn ein, und er fragte, ob sie einen dieser Golddollars hätten, aber sie hatten natürlich keinen.
      «Macht nichts», sagte er, seine Allzweckantwort, und das Mädchen ging die Eistüten holen. Lise hatte mal gesagt, es klinge unaufrichtig, als versuche er, den netten Typen zu spielen; seitdem fühlte er sich dabei unbehaglich und brach oft mitten im Satz ab.
      Er konnte von jedem Ort, an dem ein Zettel hing, ein Foto machen - von der Eisenwarenhandlung in Mayville, dem Golden Dawn - und auf die Art ihre Welt zeigen. Ihre Eltern, die Polizisten, alle, die sich bemühten, sie zu finden - genau das tat auch er. Er war ein Teil des Unternehmens, organisch integriert, wie Morgan es ausdrücken würde.
      «I always think I see you», sang Freedy genau im richtigen Augenblick. «Across the avenue.»
      Mit der Eistüte in der Hand konnte er schlecht schalten, und Meg musste sie halten, bis sie im vierten Gang fuhren. Die Dröhnung ließ langsam nach, und er spürte, wie der Tag ihn umschloss und die Möglichkeiten sich verringerten wie am Ende eines Rendezvous. Trotz all seiner Angst vor Meg war er gern mit ihr zusammen. In mancher Hinsicht war es mit ihr einfacher als mit Lise oder seiner Mutter. Sie konnte ihn weiter in seine Kindheit zurückversetzen als jeder andere, die Erinnerung an ihre Zimmer in der Grafton Street eine sichere Zuflucht, die Jahre vollkommen, keine ernsthafte Störung der nachmittäglichen Wiederholungen von Superman und Gilligans Insel, noch nichts, das schief gegangen war. Es war so falsch wie das Softeis, das sie schleckten, und genauso beruhigend. Lise sagte ihm regelmäßig, er solle erwachsen werden, warf ihm vor, sich wie ein kleines

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