Abschied von Chautauqua
hörte sie, wie eine Frau ein Stück weiter den dunklen Flur entlang Gott schreiend anflehte, dass er sie retten solle.
Das waren die Geheimnisse, die sie keinem verriet, sondern selbstsüchtig für sich behielt, die sie in den letzten Minuten vor dem Einschlafen hervorkramte, um darüber nachzugrübeln und aus der seltsamen Verbindung zwischen den drei Frauen einen Sinn herauszulesen. Die Frau im anderen Wagen hatte eine schwere Verletzung der Wirbelsäule erlitten, überlebte aber. Im Polizeibericht hatte gestanden, die andere Frau sei schuld gewesen, sie sei zu schnell gefahren. Über die Frau auf ihrem Flur hatte Meg nichts herausgefunden. Nach der ersten Woche hatte das Schreien aufgehört, das Zimmer leer, als sie daran vorbeiging, in Erwartung der nächsten Bewohnerin. Die dritte Frau war sie selbst (Stacey war keine Frau, sondern bloß ein Symptom), und da versagte ihre Analyse, ihr blieb nur das, was geschehen war, lebhaft und unerklärlich, was hieß, dass sie sich die Ereignisse jederzeit wieder ins Gedächtnis rufen konnte, und das tat sie auch.
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* 1
Emily stand mit der Kaffeetasse in der Hand am Spülbecken, durchs Fliegenfenster drang nicht der leiseste Windhauch. Das war der Tag, auf den sie gewartet hatten, warm, die Sonne bereits strahlend auf dem Rhododendron, was eine atemberaubende Hitze befürchten ließ. Bei dem herrlichen Wetter wirkte alles wie erstarrt, außer den Bienen, die die Klettertrompeten bei den Lerners durchstreiften, regte sich nichts. Die Feuchtigkeit unter den Bäumen deutete auf Gewitterschauer hin, doch nicht vor Einbruch der Dunkelheit, eine kurze, dunstige Atempause. Es schien eine völlig andere Jahreszeit zu sein, die letzten paar Tage wie ausradiert. Sie mussten früh losfahren, mussten eine Kopfbedeckung tragen und sich mit Sonnencreme einreiben. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schlimm es in Pittsburgh sein würde - glühend heiß, eine totale Sauna -, und sah vor sich, wie Louise nach draußen ging, um ihre Rosen zu gießen.
Ihre Ansichtskarte würde hoffentlich morgen ankommen. Darüber machte sie sich keine Sorgen mehr.
In einem Haufen Baseballkappen, die Henry für das Boot aufbewahrt hatte, stöberte sie einen weißen Augenschirm auf, und in einer Schale auf dem Kaminsims entdeckte sie ihre aufsteckbare Sonnenbrille. Die Jungs waren unerbittlich, sie spielten im Schlafanzug Videospiele. Emily wollte ihnen nicht den Spaß verderben und ging in die Küche, wo sie das verstreute Geschirr von letzter Nacht abspülte und die Arbeitsplatten abwischte, bevor sie mit ihrem Kaffee nach draußen ging, Rufus voller Sorge immer dicht neben ihr. Er blieb vor Arlenes Wagen stehen und blickte schwanzwedelnd zur Tür, als würden sie irgendwohin fahren.
«Meine Güte», sagte sie, «heute sind wir aber kribbelig, was?»
Der Rasen war voller Tau, das ungewohnte Licht fiel schräg zwischen den Baumstämmen hindurch, warf die schwarzen Schattenstreifen an der Garage entlang und in den Garten der Lerners. In der Luft sangen eifrig die Vögel, bevor der Lärm der Welt sie übertönte - ein Zwitschern und Pfeifen und Trillern, der einsame zweitönige Schrei einer Trauertaube. Der See lag reglos da, die Wasseroberfläche von einer Haut aus Pappelflaum überzogen. Wenn man auf den Steg ging, war es, als würde man eine Bühne betreten, und Emily war froh zu sehen, dass sie allein war, keine Nachbarn, denen sie zuwinken musste. Sie stieß mit dem Zeh gegen eine vorstehende Planke, verschüttete ihren Kaffee und fluchte, die Kettenreaktion geradezu komisch. Rufus blieb im gleichen Moment stehen wie sie, als hätte er etwas falsch gemacht, doch sie hielt bloß die tropfende Tasse weg, unversehrt, eher amüsiert als bestürzt über ihre eigene Gedankenlosigkeit.
Sie entschied sich gegen die Bank, stellte die Tasse auf den Steg und setzte sich an die Kante, wo ihre Füße nur wenige Zentimeter über dem Wasser baumelten. Rufus legte sich unsicher neben sie. Sie fragte sich, ob erwohl wusste, dass sie den ganzen Morgen weg sein würde, die vertraute Golftasche ein Anhaltspunkt. Und das, nachdem sie ihn gestern den ganzen Tag allein gelassen hatte.
«Stellst du dich deshalb so dumm an? Hm? Du armer vernachlässigter Hund.»
Er betrachtete sie ernst und neigte sich dann langsam - sie ständig im Auge behaltend, als bäte er um Erlaubnis -, bis er flach auf der
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