Abschied von Chautauqua
Sarah und Rufus jeden Moment die Einfahrt raufstapfen würden - stellte sich aber auch die andere Möglichkeit vor, direkt aus A wie Alibi, ein Haufen Streifenwagen und Ambulanzen, die die Straße zum Jachthafen verstopfen, im Kreis stehende Männer am Ufer eines der Teiche. Wenn sie an ihre verlorenen Jahre dachte, an all die Dummheiten, die sie völlig unbedenklich begangen hatte, an die Orte, an denen sie mit irgendwelchen Männern gewesen war, und die Verfassung, in der sie sich befunden hatte, dann war das nicht weit hergeholt. Sie hätte damals so leicht umgebracht und beseitigt werden können, ohne eine Leiche, um die ihre Mutter trauern konnte, und hätte manchmal, vom Kiffen draufgängerisch, sogar gesagt, das sei in Ordnung.
Justin ging zu scharf in die Kurve, wäre fast gestürzt, und Meg musste sich beherrschen, um ihn nicht anzubrüllen. «Fahrt vorsichtig!»
Sie nahmen die Abkürzung. Das Haus mit dem bis zum Boden reichenden Dach, das in ihrer Kindheit neu und kühn gewesen war, wirkte jetzt putzig und unmodern, fehl am Platz. Es brauchte einen Skihang und Schnee. Sam und Justin legten sich in die Pedale und rasten voraus, Ella fuhr hinterher, rief ihnen zu, sie sollten an der Ecke warten. Sie blickte sich um, und Meg signalisierte ihr, dass sie weiterfahren sollte. Ihre Angst war bloß ihr Problem. Sarah konnte selbst auf sich aufpassen.
Ella bog mit den Jungs um die Ecke und tauchte kurz darauf wieder auf, fuhr einen weiten Bogen und hielt schulterzuckend die Hände hoch. Sarah war nicht da.
Meg versuchte, keine Überraschung zu zeigen.
«Vielleicht ist sie bei den Tennisplätzen», vermutete Ella.
«Fahr vor.»
Die Straße an den Teichen war lang und schattenlos, flimmernd vor Hitze, und Meg wünschte sich, sie hätte ein Fahrrad dabei. Auf dem Highway brausten Autos vorbei. Wenn jemand Sarah entführt hatte, wäre Rufus zurückgeblieben. Rufus würde umherstreifen und seine Leine hinter sich her schleifen. Sarah ist so klug, nicht zu jemandem ins Auto zu steigen, dachte Meg, und dann fragte sie sich kurz, ob Sarah geplant hatte, mit jemandem durchzubrennen.
Nein, das war ungerecht - sie beurteilte Sarah nach ihrem eigenen Leben. Mit sechzehn hatte sie ihr Geld vom Babysitten gespart, sorgfältig eine Tasche gepackt und war mit James, ihrem ersten festen Freund, abgehauen. Auf der Autobahn war der Motor seines Mustang heiß gelaufen, und als die Polizei Meg nach Hause brachte, hatten ihre Eltern sie auf ein katholisches Internat in Ohio geschickt, wo sie lernte, raffiniert zu sein. Sie hatte Bier getrunken und nur Dreien gekriegt, aber ihren Eltern schien das egal zu sein. Sie hatten sie abgeschrieben, und vielleicht war deren mangelnder Ehrgeiz oder Stolz daran schuld, dass Meg sich so unfähig fühlte, sich jahrelang als minderwertig betrachtete. Wenn sie von Sarah zu viel erwartete, dann hatte sie ihre Gründe. Besser zu viel als zu wenig.
Bevor sie den Pfad erreichte, kam Ella aus dem Wald gefahren. Da war Sarah auch nicht. Ella fuhr neben Meg her und wartete auf Anweisungen. Ihre Augen sahen fischig aus, vergrößert von ihrer Brille, und sie wirkte beunruhigt. Meg wollte sie beruhigen, aus Angst, Justin könnte sich aufregen.
«Versuch's zu Hause», sagte sie. «Wir drehen uns wahrscheinlich im Kreis.»
Unter den Bäumen war der Weg feucht und mückenreich, Pfützen in den tiefen Furchen, in einem verfaulten Baumstumpf eine ausgeblichene Bierdose - vielleicht ihre eigene, die dort schon seit einer Ewigkeit lag. Sie hob sie auf, eine Art Buße, um sicherzustellen, dass Sarah da sein würde. Als sie, die Dose in der Hand, an den verlassenen Tennisplätzen vorbeistapfte, war sie zuversichtlich. Sarah war klüger als sie in diesem Alter, reifer. Und logisch gesehen, redete sie sich ein, gab es keine andere Antwort.
* 8
Unten klappte die Tür zur Veranda zu und holte Lise aus Hagrids dunkler Hütte in ihre klebrigen Laken zurück, ihre Füße schweißnass. Ein Sonnensplitter lag auf der Zederntruhe und schnitt das Ende ihres Uhrarmbands ab. Harrys Drachen war endlich geschlüpft, und Lise musste aufstehen, um für alle das Mittagessen zu machen.
Sie brauchte zwei Versuche zum Aufsetzen. Das untere Laken hatte sich wieder gelöst, und sie steckte es fest. Von der steinharten Matratze tat ihr der Rücken weh. Sie konnte es kaum erwarten, wieder nach Hause zu ihrem getreuen Wasserbett zu kommen, doch der Gedanke an ihr
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