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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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gegenüber diesen Tragödien. Die Zeitung hätte schon zehn Jahre alt sein oder aus dem nächsten Jahr stammen können, und mit derselben Freude, mit der sie ein heißes Bad nahm, erkannte sie die Zeitlosigkeit, die sie sich von Chautauqua wünschte. Sie spürte, wie ihr Kopf klar wurde, wie ihre Nebenhöhlen sich öffneten, und überließ sich einem belebenden Schauer der Genugtuung.
      «Tante Arlene!», rief Ella und deutete mit dem Finger auf sie. «Du blutest ja!»
      Als sie hinunterschaute, sah sie gerade noch, wie ein dicker Tropfen auf die Seite fiel, die sie gerade las, und hielt sich die Hand vors Gesicht. Das Blut quoll aus ihrer Nase.
      Sie legte den Kopf zurück und schmeckte es undeutlich hinten in der Kehle.
      «Ist bloß Nasenbluten», sagte sie, weil sie ihnen keine Angst einjagen wollte (Walters Vater war an einer Gehirnblutung gestorben, erst hatte er über Kopfschmerzen geklagt, und im nächsten Moment war das Blut in seinen Haferschleim gespritzt). «Alles in Ordnung. Kann mir einer von euch bitte ein Papiertaschentuch bringen?»
      Sam lief mit seinem Popsicle ins Haus.
      «Liegt wohl an der ganzen Aufregung», sagte sie zu Ella und musste schlucken, der Geschmack unangenehm stark.
      Sam kam mit einer Packung zurück, und Margaret, die das Kommando übernahm, redete in einem fort beruhigend auf sie ein und girrte, als könnte Arlene Angst haben.
      «Ich glaube, das Sprichwort stimmt», sagte Arlene. «Ein Unglück kommt selten allein.»
      Die Papiertaschentücher saugten die Farbe auf - immer schockierend, richtig kräftig. Margaret holte den Papierkorb aus dem Bad im Erdgeschoss. Arlene spürte, wie sich ihre Oberlippe mit einer Kruste überzog und zu jucken begann, und hätte sich am liebsten das Gesicht gewaschen. Sie wünschte, die Kinder würden weggehen. Sie wollte nicht, dass sie sie in diesem Zustand sahen, so machtlos (ihren Schülern würde sie das aus mehreren Gründen nicht erlauben), doch sie wusste, sie mussten sich überzeugen, dass es ihr gut ging.
      Irgendwann dachte sie, es wäre vorbei, und senkte den Kopf, löste damit aber nur einen weiteren Blutschwall aus. Sie brauchte die ganze Packung Papiertaschentücher, und Margaret riss noch eine auf.
      «Vielleicht solltest du dich eine Weile hinlegen», schlug Margaret vor. Den anderen zuliebe ging Arlene nach drinnen, willigte ein, dass man sie ins Bett brachte, ihre Sonnenbrille auf den Nachttisch und ein Handtuch unter ihren Nacken legte.
      «Ich sehe nach dir», versprach Margaret und schloss die Tür.
      Arlene fühlte sich ungerechterweise verbannt, als hätte sie es getan, um beachtet zu werden, und ihr Plan wäre nicht aufgegangen. Jahrelang hatte sie sich angehört, wie ihre Kollegen darüber witzelten, dass sie ihre zweite Kindheit erlebten, und jetzt lag sie hier, ein Mädchen, das Stubenarrest hatte. Sie wusste noch, wie schrecklich es gewesen war, als Kind im Sommer krank zu sein, zu wissen, dass Henry und ihre Freunde auf der Straße Räuber und Gendarm oder Verstecken spielten, während sie im Bett liegen musste. Stundenlang hatte sie wie ein Häftling dagelegen, ohne dass sich jemand um sie kümmerte, die Jalousien heruntergelassen und im leichten Wind schaukelnd, hatte beobachtet, wie das Licht die Zimmerdecke färbte, und genauso unglücklich wie jetzt gedacht: Aber es ist doch ein so schöner Tag.
     
     
* 7
     
    «Wenn du willst, kannst du hier oben bleiben», sagte Meg zu Justin. «Ich muss mich um die anderen kümmern.»
      «Das übernehme ich», bot Lise vom anderen Bett her an, aber ohne Überzeugungskraft, aus reiner Höflichkeit.
      «Du liest doch dein Buch. Ich muss sowieso in die Gänge kommen, es ist gleich elf.»
      «Danke. Ich mache das Mittagessen.»
      Wie Meg vermutet hatte, kam Justin lieber mit ihr, als bei Lise zu bleiben. Das Horn an seiner Stirn war vom Eis knallrot. Aus Angst, jemand könnte die Beule berühren, hatte er sie zuerst bedeckt, doch jetzt, wo Ellas Fuß jegliche Aufmerksamkeit auf sich zog, zeigte er sie voller Stolz Sam, der von seiner eigenen Kraft so beeindruckt war, dass er den verhängnisvollen Schlag nochmal ausführlich schilderte.
      «Ist Sarah immer noch nicht da?», fragte Meg.
      Nur Ella verneinte schüchtern, die Jungs hielten sich zurück, da Megs Ton etwas potenziell Bedrohliches hatte.
      «Wie lange ist sie schon weg?»
      «Ich weiß nicht», erwiderte Ella. «Ich hab lange

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