Abschied von Chautauqua
Schlafzimmer rief ihr auch all die Dinge ins Gedächtnis, die sie noch erledigen musste - neue Schulkleidung für Sam und Ella kaufen, Sams Geburtstagsparty vorbereiten. Sie wusste nicht, wo sie die Zeit hernehmen sollte. Selbst wenn sie nicht arbeitete, ärgerte sie sich, dass der Sommer einfach am Labor Day zu Ende war, urplötzlich abbrach, das Wetter noch zu schön, um sich im Haus aufzuhalten. Die Kinder wussten, dass es Betrug war, und hockten zu Hause, bis der Schulbus auftauchte. In anderthalb Wochen würde sie an Sam herumnörgeln, bis er seine Hausaufgaben machte, und Ella sagen, sie dürfe erst fernsehen, wenn sie mit ihren fertig sei.
Mit dem Fuß stieß sie Sams zusammengeknüllte Socken aus dem Weg und stieg über ein Gewirr aus Badeschuhen und Flip-Flops. Sie pinkelte, drehte die Dusche auf und schaltete den Ventilator ein, kramte in dem niedrigen Schrank nach ihrem Badeanzug und einer abgeschnittenen Jeans. Der Pickel, dessen Anfänge sie neulich bemerkt hatte, war da, ein roter Fleck an ihrem Kinn, ein hartes Knötchen, das sie gegen den Knochen drücken konnte. Die Dusche stank. Eine fette schwarze Ameise huschte hinter die Zahnpasta und an der Kante des Frisiertischs entlang.
«Das muss ich mir nicht antun», sagte sie, fand sich dann aber damit ab.
Sie hatte nicht gut geschlafen, hatte Kopfschmerzen vom Lesen, ihr Gehirn wie weiches, pappiges Brot. Wenigstens gab es warmes Wasser - manchmal hatten die Mädchen alles aufgebraucht. Normalerweise blieb sie eine Weile unter der Dusche, den Kopf gesenkt, die warme Kraft des Strahls auf ihrem Nacken ein Vergnügen, reinigend, aber selbst mit geschlossenen Augen ließ sich der Schwefelgeruch nicht ignorieren. Es war schon fast Mittag, und sie hatte noch keinen Handschlag getan.
Als sie das Wasser abdrehte, hörte sie die beiden, keine Worte, nur erhobene Stimmen auf der anderen Seite der Tür, heftig und misstönend, wie hart angeschlagene Noten, ausgeteilte und abgewehrte Schläge - Meg und Sarah. Sie verharrte reglos wie ein Jäger, wie ein Tier, das Gefahr witterte, stand nackt und nass da und lauschte. Sie konnte nicht richtig hören und bohrte die kleinen Finger in beide Ohren.
«Dir ist alles egal, und zwar, weil du egoistisch bist», rief Meg gerade. «Du glaubst, die ganze Welt dreht sich um dich, aber denk bloß, das stimmt nicht.»
«Das glaube ich gar nicht», sagte Sarah.
«Dann brauche ich dir all das vielleicht nicht zu erklären. Vielleicht weißt du es schon. Langweilst du dich, ist das der Grund, warum du nichts sagst?»
Lise konnte Sarahs Antwort nicht verstehen, sie hörte bloß Gemurmel. Sie fragte sich, wo Sam und Ella waren, als könnte sie die beiden vor dieser Szene beschützen.
«Ich kann auf deinen Scheiß verzichten.»
«Tut mir Leid», schrie Sarah. «Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut. Was verlangst du denn noch ?»
«Du könntest zur Abwechslung mal an jemand anders denken als an dich. Und du könntest aufhören, mich wie eine Geisteskranke zu behandeln. Ich muss mich für mein Leben nicht vor dir rechtfertigen.»
Aus dem Duschkopf tröpfelte das übrig gebliebene Wasser. Lise fröstelte und merkte, dass sie die Hände rang wie eine alte Frau.
«Wolltest du was sagen?», fragte Meg. «Wenn du was sagen willst, tu's. Und guck mich nicht so an.»
Und dann: «Das hab ich mir gedacht.»
Lise hörte, wie eine von beiden durchs Zimmer ging und die Treppe runterpolterte - Megs Abgang -, und dann Stille, obwohl sie wusste, dass Sarah direkt vor der Tür stand.
Sie konnte nicht ewig im Bad bleiben. Sie schob die Glastür der Kabine mit einem lauten Klicken auf und trat auf die Badematte. Die Handtücher waren nicht richtig trocken und rochen schimmelig. Sie ließ sich Zeit, trocknete sich gründlich ab.
«Alles okay?», würde sie fragen, falls es so aussah, als wollte Sarah mit jemandem reden. Lise und Ella stritten sich auch manchmal, aber nicht so.
Sie zog ihren Badeanzug und ihre Jeans an, trug ihr Deodorant auf. Vor dem Spiegel bürstete sie sich sorgfältig das Haar, spülte dann, in der Hoffnung, dass das als Vorwarnung für Sarah reichte, ihre Zahnbürste ab und strich mit dem Daumen drüber, bevor sie einen Klecks Zahnpasta draufdrückte und, als sie ausspuckte, wegen des Geschmacks das Gesicht verzog. Und doch war sie noch nicht so weit, die Tür zu öffnen, sondern musste sich erst darauf einstellen, den Knauf zu ergreifen, bereit,
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