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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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nach rechts und dann nach links neigte, bis er Sam nicht mehr hören konnte. Justin zog den Kopf ein, die Straße rollte unter seinen Reifen dahin, der schwarze Asphalt voll weißer Steinchen. Er versuchte, in einer geraden Linie zu fahren, windschnittig nach vorn gebeugt wie ein Rennfahrer. Er hätte leise mitzählen sollen, damit Sam nicht schummeln konnte, denn im Handumdrehen war der direkt hinter ihm und rief: «Du bist erledigt, Carlisle!»
      Justin schnitt die Kurve, damit Sam außen langfahren und ihn auf der Geraden überholen musste. Noch ein paar Häuser, dann waren sie an der Einfahrt mit dem braunen Holzschild und den Leitplanken aus Baumstämmen, wie in einem Park, mit dem hohen Gras auf beiden Seiten, bloß dass dort ein Streifenwagen seitwärts geparkt war und die Straße blockierte, und unter den Bäumen mitten auf dem Parkplatz noch mehr Streifenwagen, einer davon ein Winnebago mit offenen Türen, und herumstehende Polizisten, und sie fuhren beide langsamer und sahen sich an, das Rennen vergessen. Endlich war mal was los.
     
     
* 2
     
    «Ich weiß, dass du es gern tun würdest», sagte Lise in der Garage. «Warum gehst du nicht einfach hin und bringst es hinter dich?»
      «Eigentlich hab ich keine Lust», erwiderte Ken. «Sie wollen mich nicht dahaben. Und außerdem sind wir zum Tennisspielen eingetragen.»
      «Im Ernst. Wir können auch ohne dich anfangen, das ist kein Problem.»
      «Schon in Ordnung.» Als wäre damit jede Diskussion beendet, schnappte er sich die Tennisschläger und ging nach draußen, um die Jungs zusammenzutrommeln.
      Lise hatte diese Vernunfthandlung schon erlebt und wusste, was sich dahinter verbarg, sein Gleichmut selbst ein Symptom von Besessenheit. Nicht die hochfliegende, romantische Art, sondern das Gegenteil, eine methodische, fast gleichgültige Konzentration auf eine Sache, denn für ihn bestand die Welt aus Dingen, Gegenständen und Momenten, die man erstarren lassen und betrachten konnte, statt sie zu leben und für sie empfänglich zu sein. Am liebsten würde er zum Jachthafen runterlaufen, ein paar Filme verknipsen und herausfinden, was dahinter steckte - bestimmt nicht, weil er sich Sorgen um das Mädchen machte, sondern weil ihn die Vorstellung faszinierte, dass das Mädchen vermisst wurde, weil er das Ganze so verlockend fand wie jedes andere Projekt und Informationen brauchte. Vielleicht war es gefühllos von Lise, die Sache so zu sehen, doch es gab keine andere Erklärung. Er war dem Mädchen nie begegnet, und nicht mal er war so rührselig, dass er sich in ein Bild verlieben konnte.
      Der Gedanke war lächerlich, und doch ließ sich nicht leugnen, dass sie eifersüchtig war. Sie war nicht mehr zwanzig, sie hatte keine tragische Geschichte, hatte auch nie eine gehabt. Sie stammte aus einer Vorstadt, war zur Schule gegangen und hatte geheiratet, ihre Kinder großgezogen, gearbeitet. Sie besaß einen so großen Reiz wie eine Schüssel Haferschleim. Zum Teil war das seine Schuld, ihr Leben nach seinen Wünschen zurechtgebogen, auch wenn er das Gegenteil behaupten würde, doch letztlich kam ihre Unscheinbarkeit, genauso wie Megs Zügellosigkeit, von innen. Im Grunde war sie ein vorsichtiger Mensch, vielleicht weil sie immer versucht hatte, ihre Eltern zufrieden zu stellen, aus Angst, sie könnte ihre Erwartungen nicht erfüllen. Dieselbe pflichtbewusste Liebenswürdigkeit (eigentlich Farblosigkeit) sah sie in Ella und befürchtete, ihre Tochter könnte wie sie werden, bedauerlich nichts sagend, immer im Hintergrund, nie die Hauptperson.
      Sie durchwühlte den Milchkasten, wo sie die Bälle aufbewahrten.
       «Was meinst du?», fragte Meg, in Shorts und abgenutzten Turnschuhen, den Pferdeschwanz hinten durch die Kappe gezogen. «Sollen wir die Mädchen fragen?»
      «Lass sie schlafen.»
      «Haben wir keine neuen, oder ist das eine dumme Frage?»
      «Bloß die hier.» Die Bälle waren wer weiß wie alt. Die Dose in ihrer Hand war aus Metall, gelbrot mit einer Öffnung, an der man sich das Handgelenk aufschnitt, wenn man nicht aufpasste - bestimmt schon lange verboten. Seit Emily und Henry das Tennisspielen aufgegeben hatten, wurde nur in den Ferien ein-, zweimal im Jahr gespielt. Es gab sogar eine Dose mattweiße Bälle, noch flaumig und mit einem öligen Geruch, die waren schon in Lises Jugend altmodisch gewesen.
      «Die probieren wir besser aus, bevor wir losgehen», sagte Meg. «Gib mir ein paar.»
      «Das können die

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