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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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geschlossen, das Gesicht von ihrem Buch abgewandt, das noch immer aufrecht auf ihrer Brust lehnte. Das eine Auge von ihrem Haar bedeckt, sah sie aus wie die Prinzessin, nachdem sie den Schlaftrunk zu sich genommen hatte. Sogar im Schlaf war sie schön, und der Drang, sie zu küssen, stieg wieder in Ella auf. Sie sah vor sich, wie es sein würde, wie sie sich über sie beugte und ihre Lippen miteinander verschmolzen, der süße Erdbeerduft ihrer Haut, das weiche, abgetragene Nachthemd. Ella beobachtete eine Weile, wie Sarah atmete, nahm ihr dann aus Angst, sie könnte ertappt werden, das Buch aus den Händen - Sarah murmelte irgendwas und rollte sich auf die Seite -, fand das Lesezeichen und steckte es an die richtige Stelle.
      Sie stand auf, schaltete das Licht aus und konnte Sarah eine Weile nicht sehen, aber dann gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und da lag sie, direkt neben ihr. Ella legte sich so hin, dass ihr Gesicht und das von Sarah auf einer Höhe waren.
      Sie konnte es ihr nicht sagen. Es würde alles zerstören. Am Ende würde sie mit leeren Händen dastehen. Mehr war einfach nicht möglich.
      Sie sprach die Worte nicht laut aus, sondern bewegte nur die Lippen.
     
     
* 21
     
    Erst als er über ein Krockettor stolperte und eine der Bierflaschen, die er in der Hand hielt, auf den Rasen fallen ließ, wo sie langsam ausrollte, merkte er, dass er ziemlich bekifft war. Mit Hilfe des Mondlichts fand er die Flasche - sie gehörte jetzt ihm, eine glitschige Zeitbombe. Es war kühl draußen, Tau lag in der Luft, der dumpfige Geruch des Wassers stark ausgeprägt, und die Heuschrecken waren träger, nur ein paar von ihnen zirpten noch. Der See hielt das Licht fest; silbern zeichneten sich die Umrisse des Stegs ab. Am anderen Ende sah er die schwarzen Schatten von Meg und Lise auf der Bank sitzen, sah die Lücke, die er zwischen ihnen hinterlassen hatte. Über den Hügeln am anderen Ufer waren die Sterne auf ihrem Weg gebremst, befestigt an einer unsichtbaren Glasscheibe, und er spürte in ihrer Größe und Dauerhaftigkeit die Krümmung der Erde, das geringe Ausmaß ihrer Umlaufbahn, den schnellen Wechsel der Jahreszeiten.
      Er war zugedröhnt. Breit hatten sie es immer genannt.
      Er hatte bloß ein paar Mal an der Pfeife gezogen, die Meg für ihn in die Garage gelegt hatte, doch er war sicher, dass man es riechen konnte. Er blieb stehen, um das unversehrte Bier zu öffnen (vom Golf taten ihm die Hände weh, und der Kronkorken grub sich in seine Haut), ließ es kalt zwischen den Zähnen hindurchzischen und auf der Zunge sprudeln. Auf dem Steg trank er sicherheitshalber noch einen Schluck, da er wusste, dass Lise seine Kifferei als Verrat betrachten würde, er und Meg gegen sie verbündet. Nach so vielen Jahren ließ er die beiden noch immer ungern allein, da er Angst hatte, ihr Gespräch könnte sich in gefährliches Territorium verirren, zu alten Kränkungen und plötzlichen Geständnissen.
      Lise streckte die Hand nach ihrem Bier aus und nahm es, ohne hinzuschauen.
      «Ich verstehe nicht», sagte sie gerade, «warum sie keine Möglichkeit finden konnte, euch das Haus zu übertragen, wenn sie das wirklich wollte. Das hätte sie doch nach der Regelung des Nachlassesjederzeit tun können. So müssen alle zu ihr kommen.»
      «Das glaub ich nicht», widersprach Meg. «Du weißt doch, dass sie es nicht leiden kann, alles in letzter Minute zu regeln. Das macht sie nervös.»
      «Das ist ja noch besser. Da hat sie einen Vorwand, um auszuflippen.»
      Er setzte sich zwischen sie, wie ein Schiedsrichter. Lise schraubte den Kronkorken ab, und ein Rülpser ertönte, entweichendes Gas, weiter nichts.
      «Sie braucht keinen Vorwand», sagte Meg. «Davon hatte sie diesen Sommer genug.»
      «Wie die Sache mit den Ameisen», beharrte Lise.
      «Das wäre sowieso passiert», sagte Ken. «Hey, hast du uns morgen zum Tennis eingetragen ?»
      «Du wechselst das Thema», sagte Lise. «Der einzige Termin, den wir kriegen konnten, war acht Uhr.»
      «Das ist in Ordnung. Wir müssen früh loslegen, wenn wir alles schaffen wollen.»
      «Was denn noch ? »
      «Ich hab den Jungs versprochen, dass wir nach Panama Rocks fahren.»
      «Warum?», fragte Meg, als wäre das reine Zeitvergeudung.
      Er zuckte mit den Schultern. «Sie wollten hin.»
      Er brauchte nicht zu sagen, dass er noch wusste, wie sie in seiner Kindheit mit der ganzen Familie hingefahren waren, dass die Woche

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