Abschied von Chautauqua
Spurwechsel und Rastplätze waren vergessen, und ihr Leben breitete sich wieder über sie.
Sie hatte ihre Katastrophen stets überlebt und weitergemacht - hoffentlich klüger, aber wenigstens sicher, dass sie dieselben Fehler nicht nochmal machen würde. Diesmal war es anders, nicht bloß ihre Schuld, und auch die Folgen hatte sie nicht allein zu tragen, doch am Ende würde man sie dafür verantwortlich machen.
Sie war nicht bloß melodramatisch. Sie fand es witzig, dass sie die Sache auf den Punkt bringen konnte, obwohl alles noch so frisch war. Wenn man alles berücksichtigte, konnte man mit Recht behaupten, dass heute der schlimmste Tag ihres Lebens war. Gut daran ist bloß, dachte sie, dass er schon fast vorbei ist.
Samstag
Sonntag
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
* 1
Sam war als Erster wach, noch vor Justin, der direkt neben ihm schlief. Im Zimmer war es grau, als würde es regnen, und es gab keine Uhr, nur den Spiegel auf der Kommode, der die matten Vierecke der Fenster, die Blätter eines Baumes zurückwarf. Jemand hatte den Ventilator ausgeschaltet. Außerhalb seines Schlafsacks war es kalt. Sarah lag da, und er beobachtete, wie sie atmete, ihre Wange vom Haar verdeckt. Am liebsten hätte er es zur Seite gestreift und ihr Gesicht berührt.
Er wollte, dass sie alle aufwachten und mit ihm spielten - Krocket vielleicht, das machte nicht so viel Lärm -, aber er wusste, dass Ella wütend wäre und seine Mutter ihn anbrüllen würde, weil er so früh aufstand. Für seinen Game Boy war es im Zimmer zu dunkel, und auf Lesen hatte er keine Lust. Er stieg über Justin hinweg, ging ins Bad und schloss die Tür. Beim Pinkeln war nichts zu hören, deshalb drehte er die Hüfte, um einen anderen Punkt anzuvisieren, und das Wasser prasselte ins Toilettenbecken, bis er fertig war. Er spülte nicht, weil die anderen sonst wach geworden wären; er klappte bloß den Sitz und den Deckel runter, damit niemand es sah. Das Fenster neben dem Waschbecken war beschlagen; er wischte drüber, um zu sehen, ob es von innen war, und bekam tropfnasse Finger. Das Wasser verlief, und die Welt war verschwommen. Im Garten stieß eine Amsel auf der Jagd den Schnabel ins Gras. Wenigstens war er nicht als Einziger wach.
Tante Margaret lag in einem T-Shirt in dem Bett, das neben dem seiner Eltern stand, die Arme über den Kopf gestreckt, als wollte sie sich ergeben. Sie war so schön wie Sarah, dasselbe rote Haar, das aussah, als wäre es gefärbt, und er passte auf, dass er nicht zu nah ranging. Auf der Zederntruhe neben dem Bett hatte sie Geld neben ein Glas Wasser gelegt - viele Scheine, obendrauf etwas Kleingeld -, und er befürchtete, dass sie wahrscheinlich wie jeden Sonntag auf den blöden Flohmarkt gehen mussten. Er wollte bloß auf dem Schlauch reiten. Seine Mutter würde ihm nicht erlauben, in dem Doppeldecker zu fliegen, und er durfte auch nie ein vernünftiges Spielzeugauto kaufen. Auf dem Flohmarkt gab es nur alte Schraubenzieher und so ein Zeug, hässliche Teller und rostige Bratpfannen. Es würde den ganzen Vormittag dauern - und wenn sie zurückkamen, regnete es bestimmt.
Er holte sich eine Hose und entdeckte auf der Kommode noch einen Haufen Kleingeld. Das gehörte wahrscheinlich Sarah, denn obendrauf lag ihre Taschenuhr. Es war kurz vor sechs. Während er den Reißverschluss zumachte und ein Hemd anzog, tat er so, als würde ihn das Geld nicht interessieren. Es waren eine Menge Vierteldollarmünzen. Er zog die Socken an und suchte auf dem Fußboden nach seinen Schuhen. Als er sie gefunden hatte, ging er damit wieder zur Kommode.
Ihm gefiel die Uhr, ihm gefiel, dass sie so klein war. Es war nicht genug Platz für alle Ziffern. Sie hatte einen Riemen, den man an der Gürtelschlaufe befestigte, um sie leichter aus der Tasche ziehen zu können. Sam stellte sich vor, wie er sie in der Pause hervorzog und Travis Martin einen Blick darauf werfen wollte. Doch er durfte sie nicht nehmen. Sarah würde sie vermissen.
Vielleicht würde sie auch eine der Vierteldollarmünzen vermissen. Ein Fünfcentstück war kein Problem, aber ein Dime war doppelt so viel wert, auch wenn er Dimes nicht leiden konnte. Er schaute nach seinen Eltern und Tante Margaret auf der einen und nach Ella, Sarah und Justin auf der anderen Seite und schnippte dann mit dem Finger wie zufällig ein Zehncentstück über den Rand der Kommode,
Er kniete sich hin, um die Schuhe anzuziehen,
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