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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Geheimratsecken, aber sein Haar war kräftig und kaum zu bändigen wie bei ihrem Vater. Als Kind hatte sie Ken um seine Naturwelle und seine Wimpern beneidet, und doch war er nie eitel gewesen. Er schien auf seine stolpernde, weltvergessene Art unglaubliches Glück zu haben. Sie dachte, so würde es immer sein: Es gab Menschen, bei denen alles klappte, und es gab Menschen, bei denen alles schief ging, egal, wie sehr sie sich auch bemühten.
      «Ich leg mich in die Falle», verkündete Arlene, als sie fertig waren. «Ich wollte bloß sichergehen, dass dir nichts passiert ist.»
      «Danke.»
      «Schon gut, träumt was Schönes», sagte Arlene, und Meg und Ken wünschten ihr dasselbe.
      Sie gingen in die Küche, damit sie niemanden weckten. Ken schaltete den Strahler draußen aus, und der Bus verschwand. «Willst du eine Limonade oder so was?», fragte er, öffnete den Kühlschrank.
      «Nein, ich sollte ins Bett gehen. Es war eine lange Fahrt.»
      «Da bin ich mir sicher. Wie geht's euch so?»
      Er fragte so beiläufig beim Schließen der Tür, dass sie fast gesagt hätte, es gehe ihnen gut.
      «Furchtbar», sagte sie. «Macht nichts. Hast du Mom von deinem Job erzählt?»
      Als Antwort neigte er den Kopf zur Seite, eine Art Schulterzucken.
      «Du bist echt ein Feigling. Du hast auf mich gewartet, damit es sich nicht so schlimm anhört.»
      «Nein.» Er war so leicht zu durchschauen, so hilflos. Und Meg wurde von allen bedauert, beurteilt, als Sorgenkind hingestellt.
      Eine ganze Woche mit ihnen. Einen Augenblick bildete sie sich ein, die Jahre, in denen sie mit Jeffs Familie auf der Upper Peninsula Urlaub gemacht hatte, seien kinderleicht gewesen, aber das stimmte nicht. Es hatte dieselben Streitigkeiten gegeben, nur dass sie als Außenstehende nicht daran beteiligt gewesen war. Doch schließlich - das war ihre einzige echte Begabung - hatte sie auch dabei mitgemischt und war verstoßen worden. Hier wurde sie noch akzeptiert, wenn auch mit herablassendem Mitgefühl und verbindlichen Ratschlägen. Ihre Familie war alles, was sie jetzt noch hatte.
      «Was ist für morgen geplant?», fragte sie.
      «Wir wollen auf den Flohmarkt, und nach dem Mittagessen gibt's eine Runde Tubing.»
      «Wann stehen alle auf? »
      «Ich stehe gegen sechs auf, damit ich das richtige Licht habe.»
      «Sei bloß leise.»
      Die Kinder würden früh wach sein, und es war schon spät. Gemeinsam schlossen sie alle Türen und schalteten überall das Licht aus, bis sie sich nicht mehr erkennen konnten. Sie stieß gegen einen Tisch, im Zimmer ihrer Mutter bellte Rufus, und sie musste lachen.
      «Den hab ich ganz vergessen», flüsterte sie. «Wie geht's ihm?»
      «Wenn er zu lange rumtollt, wird er müde. Sein Rücken.»
      Beim Raufgehen waren sie leise. Ihre Füße erinnerten sich an die Stufen, ihre Hände fanden wie selbstverständlich das Geländer und hielten sich daran fest wie an der Reling eines Schiffes. Meg erwartete, dass Sarah noch im Licht der Taschenlampe las, doch sie schlief schon. Justin schlief tief und fest, Tigger lag verschmäht auf dem Teppich. Sam und Ella daneben hätten ihre lang vermissten Zwillinge sein können, und Meg dachte, dass die nächsten paar Jahre für Justin und Sarah viel schwerer sein würden, dass die beiden gern mit ihrem Cousin und ihrer Cousine tauschen, nach Boston gehen und ihre wahnsinnige Mutter mit ihrem Chaos hinter sich lassen würden. Sie würde ihnen keinen Vorwurf machen; wenn sie könnte, würde sie dasselbe tun.
      Sie sagte zu Ken, er solle zuerst ins Bad gehen, denn sie musste ihren Kulturbeutel suchen, dann saß sie auf dem Bett, den Kulturbeutel im Schoß, und wartete, bis er fertig war. Sie war früh aufgestanden, um sich für das Treffen anzukleiden, das jetzt bereits mehrere Wochen zurückzuliegen schien. Doch nein, es war heute gewesen, Jeff war im Flur wortlos an ihr vorbeigegangen, und sein Anwalt hatte ihr wie ein Leibwächter den Weg versperrt. LTnd dann hatte ihre eigene Anwältin sie aufgefordert, sich zu mäßigen, als hätte sie nach allem, was passiert war, kein Recht, wütend zu sein, als wäre sie, und nicht Jeff, im Unrecht. Und dann die Toilette, wo sie die Hände vors Gesicht gehalten und geweint, mit Toilettenpapier an ihrem Make-up herumgetupft hatte. Alles heute. Die Fahrt war eine Gnadenfrist gewesen, aber jetzt lösten sich die Stunden, die Hunderte von Kilometern, die sie gefahren war, in Luft auf, alle

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