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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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umwickelte, damit kein Licht durchkam. Die Plastikobjektive waren dafür bekannt, dass sie alles verzerrten. Auch wenn man dachte, man hätte alles im Kasten, wusste man nicht, ob die Bilder was geworden waren. «Darum geht's doch», hatte Morgan gesagt.
      Ken wusste, wie es gehen sollte, er glaubte bloß nicht, dass es klappte. Doch er war auch der Meinung, dass er etwas tun musste. Als er Morgan beim Durchsehen seiner Fotomappe über die Schulter geblickt hatte (mal wieder abgewiesen), hatte er gesehen, wie glatt und mittelmäßig seine Arbeiten geworden waren. Die Bilder hatten ihm nichts gesagt. Diese nackten Bäume, Bänke und Straßenschilder hätte jeder aufnehmen können -ein Student oder Rentner mit dem Blick für das richtige Licht -, und jeder hätte so kontrastreiche Abzüge machen können, dass sie an der Wand eindrucksvoll aussahen, aber sie waren nichtssagend, völlig künstlich; ohne Substanz, meinte Morgan.
      «Talent ist wichtig», sagte Morgan. «Talent und Technik sind absolut notwendig, aber das reicht nicht. Irgendwann musst du entweder angeln oder die Köder herrichten.»
      Es kam Ken wie ein Ultimatum vor, wie ein Prüfstein für ihre Schüler-Mentor-Freundschaft, deshalb schlich er jetzt im ersten Tageslicht auf dem Weg zur Fischbrutanstalt zwischen den schlummernden Sommerhäusern hindurch, in der Hoffnung, dass dieses Kinderspielzeug ihn retten würde. Es war kein Trost, dass, während die Sonne sich scheinbar nach Westen bewegte, überall auf der Welt Tausende von Fotografen dasselbe taten und mühsam aus dem Bett stiegen, um die Welt in ihrer Frische zu sehen. Er hätte wenigstens einen Kaffee trinken sollen.
      Seine Mutter würde sagen, er habe vielleicht nicht das Zeug zu so einem Fotografen. Das hatte sie schon mal gesagt, doch jetzt war er angesichts seiner Zweifel geneigt, ihr zuzustimmen. Vielleicht sollte er seinen Anspruch aufgeben und Babyfotos machen, Porträts ganz normaler Familien für Weihnachtskarten. Das würde seine Mutter glücklich machen.
      Er ging am Haus der Cartwrights und dem Haus mit dem lang gezogenen Dach vorbei, das den neuen Leuten aus Erie gehörte, bog in die zerbröckelnde Zufahrtsstraße, der Wald auf beiden Seiten dunkel. Am anderen Ende, wo sie auf die Straße zum Jachthafen stieß, ratterte ein Lieferwagen, der ein Fischerboot zog, mit klirrenden Ketten vorbei. Sein Vater hatte es geliebt zu angeln, frühmorgens im Schilf zu sitzen, das Wasser reglos wie Öl. Auf einem von Kens Lieblingsfotos von ihm befestigte er mit den Zähnen Bleigewichte an seiner Schnur, und am Rand seiner Werkbank brannte eine Zigarette. Vielleicht würde Ken morgen vor dem Frühstück mit Sam rausfahren, nur sie beide. Er dachte an ein ganzes Buch voller Angelfotos, die absolute Subkultur - Männer und ihre Söhne, ihre Boote und ihre Ausrüstung -, im kontrastarmen Stil von Bill Owens' Suburbia.
      Genau dieses abstrakte Denken brachte ihn in Schwierigkeiten. Mit der Holga sollte er das Motiv spüren und es nicht bloß sehen.
      Und er war noch nie mit Sam angeln gewesen, kein einziges Mal.
      Er bog in die Straße zum Jachthafen, die Bäume standen nicht mehr so dicht, und er konnte einen knappen Kilometer weit über das erhöhte Areal der Fischbrutanstalt bis zum Highway blicken. Von den Teichen stieg Dunst auf, der sich wie Kanonenrauch in der blassgrauen Baumlinie verfing, ein Michael Kenna-Effekt, majestätisch und gekünstelt. Ken suchte was Schlichtes, Wirkliches. Er hoffte, dass Reiher da waren und er mit der Holga nahe genug herangehen konnte.
      Er hatte nicht erwartet, dass schon jemand da war, doch vor dem Eingang des Hauptgebäudes stand ein Pickup der Forstverwaltung, und Ken wusste aus Erfahrung, dass er um Erlaubnis fragen musste, bevor er anfing, Fotos zu machen.
      Das Gebäude war erfüllt vom Dröhnen der Kompressoren und dem Rauschen des Wassers in den Rohren. Es war warm und roch nicht nach Fisch, sondern nach Schlamm, nach stinkendem Schlick. An den Hohlblockwänden hingen Plakate, auf denen die verschiedenen Arten abgebildet waren. Mitten im Betonfußboden befand sich ein Schacht, in dem mehrere Fische mit dem Maul gegen die gebogenen Seitenwände stießen. Er bewunderte gerade die gesprenkelte Haut eines Hechtes, sein eis-löffelförmiges Maul, als ein blau gekleideter Ranger hereinkam.
      Ken schob seine Tasche auf die Schulter zurück und streckte die Hand aus. «Hi, ich bin Fotograf», sagte er, trug seine Bitte vor und

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