Abschied von Chautauqua
zeigte ihm die Fotokopie seiner Genehmigung.
Es war kein Problem.
Als er wieder draußen war und zwischen den glatten Teichen hindurchging, fragte er sich, warum das seiner Mutter nicht ausreichte.
Er konnte keine Reiher entdecken, nur ein paar schläfrige, ans Ufer gekuschelte Möwen, die die Beine unter den Körper gesteckt hatten. Das Licht war gut, nicht weich, aber auch noch nicht dramatisch, irgendwo dazwischen, es stellte das satte Mittelgrau in Aussicht, das er so mochte. Wasserwanzen huschten über die Wasseroberfläche und ließen gekräuselte silberne Spuren zurück. Da, dachte er - doch eigentlich war es kein Gedanke, sondern er sah bloß einen flüchtigen Augenblick lang etwas Interessantes. Er hielt nicht inne, um zu überlegen, wie das Bild wohl aussehen würde. Er stellte seine Tasche auf den Boden und suchte nach einer Rolle Tri-X, legte den Film ein und machte sich an die Arbeit.
* 3
Schon vom Aufwachen wurde sie müde, ihr Gehirn unglaublich schwerfällig, eine Wolke voller Regen. Ken und Lise waren schon weg, ihr gemachtes Bett eine Aufforderung. Meg tastete nach ihrer Armbanduhr, in der Hoffnung, es sei noch zu früh zum Aufstehen. Sie stieß mit der Hand gegen ihr Wasserglas, verschüttete aber nichts. Neun Uhr.
«Mist», sagte sie und ließ den Kopf wieder ins Kissen sinken.
Sie hätte leicht noch eine Stunde schlafen können, aber sie wollte nicht, dass ihre Mutter an ihr herummäkelte, nicht am ersten Tag. Das hatte keine Eile, dazu würde es noch früh genug kommen - wahrscheinlich noch heute, wenn sie ihr alles erzählt hatte. Sie konnte schon die wohl überlegte Antwort ihrer Mutter hören, etwas wie Das-hab-ich-dir-doch-gleich-gesagt, und dann die Pause, in der ihre Mutter daraufwartete, dass Meg sagte, sie habe Unrecht gehabt, all das sei ihre Schuld, weil sie nicht die Tochter war, die ihre Mutter sich gewünscht hatte, weil sie sich ihr als Jugendliche widersetzt und das College abgebrochen hatte und von zu Hause weggegangen war. Sie sollte zugeben, den Tadel ihrer Mutter verdient und nach zwanzig Jahren endlich begriffen zu haben, dass ihre Mutter Recht gehabt hatte und dass Meg bereit sei, ihr Leben zu ändern und vielleicht sogar mit den Kindern nach Pittsburgh zu ziehen, damit sie sich wieder näher kamen. Wer weiß, was dann noch alles zur Sprache kommen würde - ihre Undankbarkeit, ihr verpfuschtes Leben.
Das war der Grund, warum sie aufgewacht war.
Die Luft hier oben war trocken, ihre Nase richtig zugeklebt. Das Zimmer war vertraut, ohne einladend zu wirken - dieselben ausrangierten Möbel ihrer Großeltern, die sie in ihrer Kindheit gequält hatten, nur dass sie, wie die Zederntruhe und die Kommode, geschrumpft zu sein schienen. Die Dachschräge erinnerte sie an die vielen Monate, in denen sie im Radio Mittelwelle gehört und alles Mögliche in ihr Tagebuch geschrieben hatte, die einsame Ferienzeit nur unterbrochen vom Sommerlager, und - noch niederschmetternder - daran, wie sie mit ihrem Koffer voll schimmeliger Kleider und Andenken zurückgekehrt war: dem mit Ausschneidebildern beklebten Stein, dem Makrameefußreifen, dem Band für ihren zweiten Platz beim Brustschwimmen.
Sie erinnerte sich, wie ihr Vater die Treppe raufgerufen hatte: «Kommst du mit uns nach draußen?», und wie sie auf dem Teppich gesessen hatte, das Sonnenlicht ein Streifen auf ihrem Knie. Sie hatte die Staubkörnchen schweben sehen, als würden sie in der Luft hängen, Seepferdchen, die sich mit der Strömung treiben ließen. «Margaret?» Sie hatte nicht geantwortet. «Okay», hatte ihr Vater gesagt, «aber du weißt, dass du willkommen bist.»
Das musste er sagen.
Ganz oft hatte er sich auf ihre Seite geschlagen, doch das spielte keine Rolle, denn am Ende hatte er sich stets ihrer Mutter gebeugt. Er war ein schwacher Verbündeter gewesen, und schließlich - wieder als Teenager, mutig und unversöhnlich - hatte sie ihn damit beschämt, und ihr Verhältnis war nie mehr dasselbe gewesen, genau wie mit Jeff nach Megs Aufenthalt in der Rehaklinik. Sie würde nie begreifen, warum Männer so empfindlich waren. Trotz all ihres Gehabes wussten sie nicht, wie man kämpfte, wie man gewann oder verlor, ohne daran kaputtzugehen.
Kens verrückte 7UP-Flasche, der kaputte Fernseher. Erstaunlich, wie dieser ganze Mist die Zeit überdauert hatte, während so viel anderes, das ihr mehr bedeutet hatte, zerstört worden war. Es kam ihr ungerecht vor. Doch
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