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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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aus, steckte bloß die Bürste in die Chromhalterung.
      «Bist du fertig?», fragte sie. «Denn ich muss jetzt duschen.»
      «Ich bin fertig», erwiderte er und ging nach unten.
      «O Gott», sagte sie, als sie die Tür geschlossen hatte und das Wasser laufen ließ.
      Der Plastikeinsatz der Brause hatte rostrote Flecke. Mitten beim Haarewaschen wurde das Wasser plötzlich eiskalt, und sie schauderte zurück und hielt schützend die Hände vor die Brust. Dieses Haus - sie hatte seine Eigenarten vergessen. Das Wasser wurde wieder heiß, und sie duschte sich rasch ab, bevor es ein zweites Mal abkühlte. Eine ganze Woche lang. Es war schon schlimm genug, dass das Wasser stank.
      Zitternd, die Hände zu Fäusten geballt, stieg sie aus der Dusche und musste feststellen, dass die Handtücher völlig nass waren. Einen Augenblick dachte sie, es sei ein Scherz, ein Streich, den Sam ihr gespielt hatte, doch dann sah sie im Schrank nach, und da lagen die abgewetzten Sachen, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, die alten braunorangen und avocadogrünen Garnituren, die ausgeblichenen gestreiften Strandhandtücher, die gemusterten Waschlappen. Im Schrank roch es nach Mottenkugeln und Latexfarbe mit einem Unterton von kräftigem Käse und sogar toter Maus, ein Geruch, der sich in den Handtüchern festgesetzt hatte.
      Sie merkte, dass sie sich Zeit ließ und gründlich war, als würde sie sich für eine Hochzeit oder ein feierliches Abendessen zurechtmachen. Eine Pressekonferenz, dachte sie. Sie hätte eine Erklärung vorbereiten sollen. Sie konnte alles von Notizzetteln ablesen und dann alle Fragen von sich abprallen lassen.
      Als sie ihren Deoroller benutzte, öffnete Sarah verschlafen, noch im Nachthemd, die Tür.
      «Ich muss aufs Klo.»
      «Kannst du noch warten?»
      «Nein», erwiderte sie zögerlich.
      «Dann geh », sagte Meg, «wo du schon hier bist», und trat zur Seite, damit Sarah sich vorbeizwängen konnte. «Ich will, dass du duschst und was frühstückst, wenn du fertig bist.»
      «Und was ist mit Ella?»
      «Für Ella bin ich nicht verantwortlich.» Sie konnte geradezu hören, wie Sarah in Gedanken antwortete: Für mich auch nicht. «Wir fahren zum Flohmarkt.»
      «Toll», sagte Sarah mit unbeweglicher Miene und pinkelte.
      «Wenn du willst, kannst du auch hier bleiben.»
      «Wer fährt alles mit? »
      «Keine Ahnung. Ich war noch nicht unten.»
      Sie überließ Sarah das Bad, und die Kälte prallte auf ihre Haut. Sie öffnete den Reißverschluss ihrer grünen Tasche, schnappte sich die oben liegende Unterwäsche. Sie wusste nicht genau, wie warm es draußen war, deshalb ging sie auf Nummer sicher und zog Jeans an.
      Im Bad gab es keine Steckdose. Sie musste hinter dem niedrigen Schrank nach einer suchen und sich dann vor dem Spiegel kniend das Haar föhnen. Verdoppelt sah Kens 7UP-Flasche noch seltsamer aus, trauriger. Wer war bloß auf die Idee gekommen, den Flaschenhals so zu verbiegen, und warum war sie als Preis in Betracht gezogen worden, als etwas, das man gewinnen konnte? Und doch steckte in der Flasche mit dem dunkelgrünen Glas und der altmodischen Schrift - beides längst aus der Mode, nur noch etwas für Sammler - mehr von ihren Gefühlen gegenüber der Welt als in dem hässlichen Teppich, der lächerlichen Frisierkommode oder dem passablen Schrank. Die warme Luft dröhnte und festigte ihr Haar, und als sie den Kopf drehte (und sah, dass Ella immer noch las), fiel ihr der ganze andere Plunder hier oben ins Auge - die Liege und das sessellose Sofa, der Kleiderständer, der wie ein Storch aussah, der staubige Sitzsack -, und sie fragte sich, was sie mit all den Sachen anfangen würden. Das Einzige, was sie haben wollte, waren die Gläser, die sie morgens für den Orangensaft benutzten und aus denen ihr Vater abends immer seinen Scotch getrunken hatte. Auf alle Gläser war ein Oldtimer geprägt, ein Buick oder ein Olds mit einem anonymen Pärchen mit Schutzbrille und Staubmantel, das auf einem gepolsterten Zweiersofa zu sitzen schien. Die Gläser waren keine Rarität und sahen nicht mal gut aus, aber wie Kens Flasche steckten sie voller Erinnerungen und riefen Meg die Jahre und Mahlzeiten, das Gelächter in Küchen ins Gedächtnis wie ein Talisman.
      Sarah kam aus dem Bad und legte sich wieder hin.
      «Dusch dich und zieh dich an», sagte Meg in ihre Richtung, übte aber keinen Druck aus. Auch Sarah hatte Ferien. Meg ließ ihre Flip-Flops auf

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