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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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den Teppich fallen und schob ihre Zehen hinein. « Für dein Frühstück bist du selbst verantwortlich», sagte sie, doch bloß Ella blickte auf.
      Unten war Meg erleichtert zu sehen, dass ihre Mutter nicht da war. Die Jungs spielten auf dem Sofa im Wohnzimmer mit ihren Game Boys, und durch das Fenster in der Ecke sah Meg, dass Lise auf der Veranda saß und las. Sie beschloss, ganz normal an der Tür vorbeizugehen; als sie es tat, geschah nichts.
      In der Kaffeemaschine befanden sich noch ein paar Tassen. Als sie einen Becher aus dem Schrank holte, sah sie ein paar von den Gläsern ihres Vaters, verkehrt herum auf dem rot karierten Regalpapier gestapelt, damit sich keine Ungeziefer und kein Staub darin sammelten. Sie zählte vier. Sie dachte, dass es sechs waren, stellte sich auf die Zehenspitzen, um ganz hinten nachzusehen, und schaute dann in den oberen Korb der Geschirrspülmaschine - immer ganz scheußlich, weil die Gummibeschich-tung der Zinken abgenutzt war.
      Sie hätte schwören können, dass es sechs waren. Buick, Olds, Roe, Cadillac, Stanley und noch was anderes. Sie musste ihre Mutter fragen, obwohl das bedeutete, dass sie sich in die Karten schauen ließ.
      Sie ging mit ihrem Kaffee auf die Veranda hinaus. Lise war so höflich, aufzustehen und sie zu umarmen, und Meg dachte, dass sie zugenommen hatte.
      «Du siehst gut aus», sagte sie.
      «Wann bist du letzte Nacht angekommen?»
      «Nicht so spät. Zwischen elf und zwölf.»
      Lise entschuldigte sich, weil sie nicht aufgeblieben war, und Meg sagte, das könne sie verstehen. Ken sei mit seiner Kamera unterwegs. Ihre Mutter und Arlene seien mit Rufus zu den Teichen rübergegangen. Zu Hause sei alles in Ordnung, alle seien gesund. Ihr neuer Job gefalle ihr, und Ken sehe sich nach etwas Besserem um. Meg sagte, es sei eine harte Zeit, aber sie würden es überstehen, und Lise sagte, es tue ihr Leid.
      «Es ist besser so», sagte Meg.
      Sie klang genau wie ihre Mutter am Telefon und schüttelte siebzehn Jahre ab wie eine dünne Windjacke. Es ist furchtbar, hätte sie sagen können, doch Lises Mitleid deckte schon alles ab, was sie sagen konnte. Sie konnte nicht erwarten, dass Lise wusste, wie es war, allein im Bett fernzusehen und dann das Licht auszuschalten, ohne müde zu sein, dazuliegen und zu wissen, dass der nächste Tag genauso sein würde. Dieses Eingeständnis würde sie bloß beide in Verlegenheit bringen.
      «Sarah hat einen Freund.»
      «Tatsächlich.»
      «Mark. Scharfer Typ.»
      «Ist er nett?»
      «Wir sehen ihn nur selten. Er ist wie ein Kater, der nachts ums Haus schleicht. Keine Sorge, so einen habt ihr auch bald.»
      «Ich kann's kaum erwarten.»
      Weit draußen brauste ein Boot vorbei, dessen Motor erst spät zu hören war, wie bei einem Flugzeug. Meg trank einen Schluck Kaffee und spürte, wie das Blut in ihre Glieder strömte, wie ihre Nasennebenhöhlen sich mit einem stechenden Schmerz öffneten. Sie saßen da und schauten durchs Fliegengitter auf das graue Band des Sees.
      «Eins noch», sagte Lise. «Ich hab Sam gesagt, dass er nur eine Stunde am Tag Videospiele spielen darf, und darunter fällt auch sein Game Boy.»
      «Ich sag'sJustin.»
      «Danke.»
      «Kein Problem. Eigentlich ist das eine gute Gelegenheit.» Wenn sie schon sonst nichts verband, dann wenigstens ihr Mutterdasein, die praktische Anwendung von Macht. Ihre Beziehung hatte etwas Erwachsenes und Geschäftsmäßiges, losgelöst und nüchtern, während sie und Ken durch die unerklärlichen Bande der Kindheit verbunden waren, eine Abhängigkeit, die darauf beruhte, dass man ein Leben lang versuchte, sich gegenseitig zu charakterisieren.
      Sie würden um zehn zum Flohmarkt aufbrechen, oder wenn Ken zurückkehrte.
      «Wenn er arbeitet, vergisst er alles um sich herum», sagte Lise.
      Sie vertiefte sich wieder in ihr Buch, und die Sonne kam heraus, ließ den See glitzern und färbte die Bäume. Die Häuser am anderen Ufer leuchteten weiß wie Kalkstein. Meg folgte mit dem Blick einem Segelboot, das vor dem Midway-Vergnügungspark schräg im Wind lag, und sah dann gelangweilt Lise an, die konzentriert las - Harry Potter, das Meg für ein Kinderbuch hielt. Genau das tun meine Mutter und Arlene, dachte Meg: hier sitzen und den ganzen Tag den See betrachten, als hätten sie nichts anderes zu tun. Sie war eher wie ihr Vater; sie brauchte irgendeine Aufgabe, eine komplizierte Reparaturarbeit, und sei es bloß,

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