Abschied von Chautauqua
wenn sie sich dreißig Jahre lang hier oben versteckt hätte, würde es ihr auch gut gehen, dann wäre sie zwar staubbedeckt, aber wie durch ein Wunder unversehrt, ihr Glaube an die Liebe ungeprüft.
Die Jungs waren längst weg, doch Sarah schlief noch. Seit sie dreizehn war, hasste sie es, wegen der Schule aufzustehen. Ella lag neben ihr und las eins von Sarahs Fantasybüchern. Obwohl sie nur ein paar Monate auseinander waren, vergötterte Ella Sarah und folgte ihr auf Schritt und Tritt, so wie Ken ihr hinterhergetrottet war.
Ella lächelte, als sie Meg sah, und Meg kniete sich hin und umarmte sie unbeholfen. Sie war schüchtern und höflich, wie Ken. Es war ein Jammer, dass sie sein langes Kinn hatte und nicht so ein hübsches wie Lise. Und sie war dünn, eine Dreizehnjährige ohne Brüste. Sarah hatte schon einen Freund, und im Einkaufszentrum drehten sich alle nach ihr um - Ehemänner über dreißig, ihre Augen wie Gewehrläufe. Meg fragte sich, ob diese Unansehnlichkeit schlimmer war, ob Ken sich Sorgen um Ella machte.
«Wie geht's mit deiner Zahnspange?», flüsterte sie.
«Alles okay.» Ella öffnete den Mund, um es ihr zu zeigen.
«Ich weiß noch, als ich meine gekriegt hab, taten mir eine Woche lang die Zähne weh. Aber die hier sieht ganz anders aus. Meine hatte einen Schlüssel, an dem der Kieferorthopäde jedes Mal drehte. Dann musste er immer mein Gesicht so halten und daran drehen.»
«Aua.»
«Ja - aua. Aber guck mal.» Sie lächelte und zeigte von beiden Seiten ihr Profil, und Ella war so nett, nichts von dem leichten gelben Belag zu sagen, den Meg vor ein paar Wochen entdeckt hatte. Sie waren nicht mehr über Jeff versichert, deshalb hatte sie ihre Zähne eine Weile nicht reinigen lassen. Die Untersuchungen der Kinder waren nervenaufreibend genug. «Wenn du fertig bist, werden deine noch besser aussehen.»
«Das hoff ich doch. Braucht Sarah auch eine?»
«Bis jetzt nicht - klopf auf Holz.» Sie klopfte mit dem Fingerknöchel auf Ellas Kopf. «Aber wahrscheinlich kriegt Justin eine.»
Sie überließ sie ihrem Buch und ging ins Bad. Während sie auf dem Klo saß, konnte sie nur die obere Hälfte ihres Gesichts im Spiegel sehen, ein müder Kilroy. Sie zupfte ihr Haar zurecht und betrachtete die Furchen unter ihren Augen. In zwei Wochen würde sie offiziell geschieden sein. Sie war zu alt, um nochmal ganz von vorn anzufangen, doch genau das musste sie tun.
Es klopfte an der Tür.
«Versuch's mal unten», sagte sie.
Es klopfte noch einmal. «Ja? »
«Ich muss mir die Zähne putzen», sagte Sam mit seiner tonlosen Stimme.
«Einen Augenblick», erwiderte sie und seufzte angesichts der Störung. Sie wusste, es war herzlos von ihr, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass Sam nicht ganz da war. Es hatte was Seltsames, wenn er so dastand und mit offenem Mund in die Gegend starrte, sein Blick wie festgebannt, als würde er einen gar nicht sehen. Die Augen glasig wie bei einem Schlafwandler. Selbst wenn er sich mit irgendetwas beschäftigte, schien er in seiner eigenen kleinen Welt zu sein und mit Sachen zu spielen, die für kleinere Kinder gedacht waren. Aber so waren viele Jungs. Sie fragte sich, ob sie ihn schon mal hatten untersuchen lassen.
Sie schlang sich ein Handtuch um die Taille, bevor sie die Tür öffnete, und umarmte ihn dann. Er ließ es zu und trat einen Schritt zurück, als sie ihn losließ.
«Und wie geht's dir?»
«Gut», sagte er.
«Hast du Justin schon entdeckt?»
«Jaa.»
«Spielt ihr beide irgendwas?»
«Jaa.»
Sie fand, dass er sich schon wie ein Mann benahm und sich ihr mit Schweigen widersetzte. Sarah zeigte Meg wenigstens, dass sie ihr auf den Wecker ging.
Sie musste einfach weiterbohren, während er seine Zahnbürste aufs Waschbecken legte und mit beiden Händen die Tube ausdrückte.
«Was spielt ihr denn ? »
«Krocket.»
«Und wer gewinnt?»
«Ich.»
«Geht dir meine Fragerei auf die Nerven?»
Das fand er lustig, hielt mit dem Zähneputzen inne und lächelte sie an.
«Nein», sagte er durch den Schaum. Er schien sich aufrichtig zu amüsieren, und sie fragte sich, ob er bloß unbewusst ein ausdrucksloses Gesicht machte und es nicht eingeübt war wie bei Sarah. Sie musste Lise danach fragen - diplomatisch natürlich -und dann Ken die wirkliche Geschichte entlocken.
Er spuckte ins Waschbecken, spülte sich aber nicht den Mund
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