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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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um sich zu beschäftigen. Vielleicht war das ihr Problem. Jetzt bestand ihre Aufgabe aus ihrem Leben, und allein mit Arbeit ließ es sich nicht in Ordnung bringen.
      Die Gefahr eines Urlaubs lag darin, dass man zu viel Zeit zum Nachdenken hatte.
      Sie überlegte, ob sie noch eine Tasse Kaffee trinken sollte, wusste aber, dass sie dann ins Trudeln geraten, in Stücke zersplittern würde, dass ihre Gedanken in alle Richtungen davonfliegen würden, zu viele von ihnen gefährlich. Sie musste etwas essen und ging nach drinnen, um zu sehen, ob es etwas gab, das Sarah schmecken würde.
      Der Kühlschrank war das genaue Gegenteil von ihrem: so leer, dass sie durch die Abstellroste hindurchschauen konnte, und sauber. Die Eier konnte sie wahrscheinlich essen, das Käsebrot wollte ihre Mutter wohl aufheben. Milch. Ein kleiner Becher Margarine, Aufschnitt, ein Kopf Salat. Die Tür war voll gestopft mit uralten, fragwürdigen Würzmitteln, von denen einige (wie der lila Meerrettich) ihrem Vater gehört hatten. Der Küchenschrank war halb voll mit Dosensuppen, zugeklebten Pastaschachteln und Soßenpackungen, nur unverderbliche Sachen - wie in der Küche eines Katastrophenexperten aber auf dem oberen Regal stand eine Reihe Cornflakes-Schachteln. Ihre Mutter hatte daran gedacht, denn es war auch eine ungeöffnete Schachtel Cap'n Crunch darunter, ihre Lieblingssorte.
      Dieses Geschenk kam so unerwartet, sah ihrer Mutter (die Cap'n Crunch nicht ausstehen konnte und allein den Gedanken daran lächerlich fand) gar nicht ähnlich, und einen Augenblick lang fragte sich Meg, ob ihre Mutter es aus Mitleid für sie gekauft hatte. Aber dass sie daran gedacht hatte, genügte schon.
      Sie bereitete sich ein Schälchen zu und nahm es mit auf den Steg, hielt es beim Gehen mit ausgestreckten Armen, um nichts zu verschütten. Als sie über den Steg ging, paddelte eine Stockente unter den Brettern hindurch. Bei jedem Schritt gaben die Planken ein bisschen nach und schwankten wie eine wacklige Brücke. Der Wind wehte, und sie wünschte, sie hätte ihre Sonnenbrille mitgenommen. Sie machte es sich auf der Bank bequem, fing an zu essen, bevor die Cornflakes matschig waren, und spürte, wie der Zucker ihre Kiefermuskeln mit Energie versorgte, eine kribbelnde Freisetzung von Enzymen. Es war dasselbe Gefühl wie beim Kiffen.
      Sie hielt das Schälchen dicht vors Kinn und schaufelte einen Löffel voll in den Mund, was sich an ihren Zähnen schmerzhaft süß anfühlte, und plötzlich musste sie an Jeff denken. Es war schon fast ein Jahr her, und doch konnte er sie immer noch lähmen, konnte dafür sorgen, dass sich ihre Gedanken nach innen richteten und um sich selbst drehten, wie Rufus, wenn er eine offene Wunde hatte. Jeff war gegangen, weil sie alt und Staceyjung war, weil sie schnell die Beherrschung verlor und Stacey ein leichtes Opfer war, weil sie langweilig und Stacey aufregend war. Alles wahr und ganz einfach (Stacey war achtundzwanzig und spielte Squash, trug Größe 34), doch je länger Meg darüber nachgrübelte, umso stärker war sie davon überzeugt, dass es einen anderen, tieferen Grund gab, den er ihr nicht verriet und nie verraten würde, ein geheimer Makel, der es jedem unmöglich machte, sie je von ganzem Herzen zu lieben. Das hatte sie als Kind gespürt, es vielleicht von ihrer Mutter gelernt, mit all den Bedingungen, die sie ihr stellte, hatte es erst wie ein Kreuz und in der Pubertät wie ein Ehrenmal getragen, bis sie, mit Mitte zwanzig, begonnen hatte, ernsthaft nach jemandem zu suchen, der ihr beweisen konnte, dass sie falsch lag. Sie hatte Jeff gefunden, und er hatte ihr weisgemacht, dass sie so eine Liebe verdiente.
      Die Bretter schwankten unter ihren Füßen, und als sie sich umdrehte, sah sie, wie Rufus auf sie zutrottete und ihre Mutter in ihrer Steppjacke und mit Aufstecksonnenbrille den Steg betrat. Von den Erinnerungen an Jeff noch wehrlos, hatte Meg das Gefühl, als hätte ihre Mutter sich angeschlichen.
      Sie stand blinzelnd da, während Rufus um ihre Knie tänzelte und mit den Krallen an den Brettern scharrte. Sie hatte fast aufgegessen, deshalb stellte sie das Schälchen auf den Boden, und er schlabberte vor sich hin.
      «Gib ihm das nicht», sagte ihre Mutter, nahm sie aber in die Arme und hielt ihre Hände, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten. «Ich bin so froh, dass du kommen konntest.»
      «Mir blieb doch nichts anderes übrig.»
      «Ich weiß, dass es ganz allein nicht

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