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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Hause oben am Arbeitszimmer seines Vaters vorbeigekommen war, wo dieser schweigend die Rechnungen beglich. Was das bedeutete, wollte Ken lieber nicht beantworten, er ließ es in der Schwebe, um es irgendwann wieder aufgreifen und den Rest seines Lebens untersuchen zu können. Ken zweifelte weder an seiner Liebe zu seinem Vater noch an der Liebe seines Vaters zu ihm, ihn störte bloß, wie seltsam sich das in seiner Erinnerung darstellte, vermischt mit all dem anderen Zeug. Ihre Bindung hatte nichts Mechanisches gehabt, war kein Reflex gewesen, sondern, genau wie sein Vater, maßvoll und zuverlässig, stärkend wie eine Arznei.
      Sie näherten sich Mayville. Weiter vorn, auf der linken Seite, befand sich eine Tankstelle mit Gemischtwarenhandlung, das Gas-n-Go. Er hielt am gelben Mittelstreifen und ließ Meg weiterfahren, wartete, bis ein Wohnmobil vorbei war, und bog dann ab.
      «Haben die offen?», fragte Lise, weil Sonntag war und die Zapfsäulen frei waren, doch im Schaufenster blinkte ein oranges Neonschild. Ihm fiel ein, dass der Tank auf seiner Seite war, und hielt dicht an der Zapfsäule.
      Außerhalb des Autos war eine andere Welt, weit weg von ihnen, und Luft zum Atmen. Er stand mit dem Stahlgriff in der Hand da, beobachtete, wie die Ziffern wechselten, während die Autos vorbeifuhren, und fragte sich, wie es wohl wäre, das ganze Jahr über hier zu wohnen, wenn der Wind über den gefrorenen See wehen, durch die hohlen Schilfgräser streichen und an den Fenstern rütteln würde. Er sah vor sich, wie er Feuerholz nach-legte, Suppe und Cracker aß, zusätzliche Decken aufs Bett häufte. Morgens würde er hinausgehen und im Schnee und dem skandinavischen Licht arbeiten. Er würde geduldig sein, eine Studie über Wolken machen, sich vergraben wie Stieglitz in Lake George. Sein Leben wäre ruhig und würdevoll, jeder Augenblick konzentriert, zielgerichtet.
      Der Zapfhahn schloss sich mit einem Klicken, und Ken drückte den Griff so lange, bis eine runde Zahl angezeigt wurde, klappte den Hebel runter und hängte den Schlauch wieder auf. Als er zum Eingang hinüberging und in seinen Taschen nach einem Zwanziger suchte, hielt ein weißer Pickup. An der Kasse war niemand, deshalb wartete er und betrachtete die Boulevardzeitungen mit den überbelichteten Sensationsfotos und grobkörnigen Teleaufnahmen. Und für diesen Mist wurde man auch noch bezahlt, kriegte sogar gutes Geld.
      Er blickte sich im Laden um, ging ans Ende der kurzen Regalreihen, für den Fall, dass der Kassierer gerade etwas einräumte, entdeckte aber niemanden. Mitten im Gang lag eine ungeöffnete Tüte Cheetos, die wie ein Kissen aussah. Hinterm Tresen liefen ein Radio und ein Überwachungsmonitor, der die Zapfsäulen zeigte - der Mann aus dem Pickup, der seinen Tank auffüllte. (Ken sah eine ganze Reihe solcher Fotos vor sich, jedes mit seiner eigenen Geschichte.) Neben der Kasse stand eine große Tasse Kaffee, daneben ein halb voller Aschenbecher. Ken schüttelte den Kopf, und sein Gesicht überzog sich mit Lachfältchen, als könnte das Ganze ein Scherz sein.
      Die Toiletten befanden sich in einer Ecke auf der anderen Seite, in einem niedrigen Flur am Ende einer Wand aus Kühlboxen. Er klopfte an beide Türen. «Hallo?», rief er. «Ich muss das Benzin bezahlen.»
      Als er wieder rauskam, stand der Mann aus dem Pickup am Tresen. Ken zuckte mit den Schultern. «Es scheint niemand da zu sein.»
      «Das ist aber seltsam», sagte der Mann. Er trug einen Cowboyhut und hatte grau melierte Koteletten, und Ken fragte sich, ob der Mann ein Einheimischer war. Er hatte nicht diesen quäkenden, beinahe mittelwestlichen Akzent, den Ken mit dem Westen des Staates New York verband.
      «Haben Sie auf der Toilette nachgesehen?»
      «Ich hab an beide Türen geklopft.»
      «Dann bin ich auch überfragt», sagte der Mann.
      Sie gingen wieder zur Eingangstür raus, jeder übernahm eine Seite, und Ken sah den Pickup; dem Kennzeichen zufolge stammte er aus Sayre, Pennsylvania - nicht weit entfernt. Lise starrte ihn aus dem Geländewagen an, und er bedeutete ihr mit einem Handwedeln, dass er es ihr später erklären würde. Hinter dem Laden, neben dem Zaun um den Müllcontainer, trockneten drei Plastikeimer, in denen Kartoffelsalat gewesen war, an der Wand ein aufgerollter Schlauch, aus dessen Ende noch Wasser auf den Beton tropfte. Die Eismaschine stand offen.
      Sie versuchten es nochmal im Laden. Beide Toiletten waren leer. Ken

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