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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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entsprechend. Das probieren wir jetzt nochmal.»
      Sie fügten sich, ihre Ungeduld und ihre linkische Selbstbeherrschung genauso, wie Emily es von ihren eigenen Kindern und, aus dem umgekehrten Blickwinkel, aus ihrer eigenen Kindheit kannte. Vielleicht waren Kinder deshalb so beruhigend: Wie stark sich die Welt auch veränderte, man konnte stets darauf zählen, dass sie sich gleich blieben.
      «Kann ich aufstehen?», fragte Sam.
      «Warte auf deinen Cousin», sagte sie, und er seufzte.
      Schließlich ließ sie die beiden gehen und hielt sie an, sich die Hände zu waschen, bevor sie irgendwas anfassten.
      Das Geschirr hatte inzwischen den gesamten Spülgang durchlaufen, war aber noch so heiß, dass Emily es nicht wegräumen konnte. Sie spülte das Frühstücksgeschirr mit der Hand, wischte das Spülbecken aus und hängte den Lappen über den Wasserhahn. Die Pfanne trocknete sie sofort ab, damit sie nicht rostete. Als sie sie wegräumte, erinnerte sie sich an die stets fettige Pfanne ihrer Mutter: Die hatte fette schwarze Ameisen angelockt, die übers Linoleum huschten. Manchmal - zum Beispiel an einem Regentag wie diesem - hatte ihre Mutter ihr morgens beigebracht, wie man Speck briet, wobei man sich nicht vor dem spritzenden Fett fürchten müsse (das sie neben der Zeituhr in einer Dose aufbewahrte), und dann beidseitig gebratene Eier, wie ihr Vater sie gern aß. Emily war damals bestimmt nicht älter als zehn gewesen. Jeden Morgen vor der Schule hatte sie ihm das Frühstück zubereitet. In der High School hatte sie versucht, den Geruch mit Evening in Paris zu überdecken, und im Bus hatte sie immer das Fenster geöffnet, bis ihre Sitznachbarn sich beklagt hatten. Jeden Morgen hatte ihr Vater sie, bevor er zur Arbeit ging, auf die Wange geküsst und sich bedankt, hatte gesagt, was für eine gute Köchin sie sei. Und dann hatte ihre Mutter sie jeden Abend mit üppigen Mahlzeiten in den Schatten gestellt, die sie wahrscheinlich zehn Jahre ihres Lebens gekostet hatten, die Soßenschüssel das wichtigste Utensil, richtige Sahne zum Nachtisch. Dieser Lebensstil war inzwischen undenkbar, überholt, und doch war es einmal ihr eigener gewesen, war noch immer das Leitbild und der Maßstab, auf die sie sich verließ. Sie fragte sich, ob die Kinder sie genauso in Erinnerung behalten würden, denn diese seltsamen Maisfladen waren hoffnungslos altmodisch.
      Natürlich. Emily würde ihre Vergangenheit sein. Die Zeit war kein Kreis und keine Linie, sondern eine Küche, eine Lampe, ein Sessel.
      Heute würde sie sich die Listen der Kinder ansehen und ihre Entscheidungen treffen. Sie würde sehen, wie viel sie bewahren und wie viel sie wegwerfen würde. Ach, das meiste würde auf jeden Wohltätigkeitsbasar passen, aber es gab auch Stücke, denen Emily insgeheim die Daumen drückte, Zusammenstellungen, die sie taxiert hatte wie eine Ehestifterin. Sie wollte, dass Margaret die Zederntruhe bekam (und sie irgendwann an Sarah weitergab). Der Schrank oben hatte stets Kenneth gehört, und die Frisierkommode im Gästezimmer Arlene (genauso wie der dazugehörige Nachttisch; es wäre unsinnig, die beiden Stücke zu trennen). Lisa würde nichts haben wollen, was Emily auch gut fand. Sie würde sich nicht länger von der unerklärlichen Unfreundlichkeit ihrer Schwiegertochter aus der Ruhe bringen lassen. Nach all den Jahren hatte Emily selbst eine schützende Gleichgültigkeit entwickelt. Manche Menschen würden einem nie sympathisch sein, und es war töricht, ja vielleicht sogar gefährlich, dagegen anzukämpfen, zumindest war es Zeitverschwendung.
      Sie räumte die Küche auf und hängte das Geschirrtuch zufrieden zum Trocknen über den Backofengriff. Sie gab Rufus eine Belohnung und schaute wieder zum Fenster hinaus, und die Tropfen auf der Scheibe - die Scheibe selbst, das staubige Fensterbrett und der angelaufene Griff - erfüllten sie mit dem schrecklichen Gefühl, eingesperrt zu sein. Mit den Kindern den ganzen Tag im Haus würde sie völlig durchdrehen. Vielleicht könnte sie mit Arlene zur Book Barn fahren und irgendwo zu Mittag essen.
      Im Wohnzimmer spielten die Jungs mit ihren Game Boys, doch sie hatten höflicherweise den Ton leise gedreht. Emily setzte sich mit ihrem Buch aufs Sofa und versuchte zu lesen, wurde aber vom Geschrei der Jungs gestört. Sie kauerten über den Plastiktafeln wie Mönche, voll konzentriert, während Emily keine zwei Absätze lesen konnte, ohne aufzublicken.
      Am helllichten

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