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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Tag entführt, an einer Tankstelle. Bestimmt hatten sie dort eine Videokamera, wie in der Bank. Sie kam nicht darüber hinweg. Kenneth konnte ihr bestimmt etwas erzählen.
      Sie wollte eine Zeitung haben. Zu Hause hatte sie die Zeitung für diese Woche abbestellt, und bei dem Gedanken an die leere Diele, die Haustür, die reglosen Möbel fragte sie sich, was die Kinder wohl aus diesem Haus einmal haben wollten. Kenneth war ihr Testamentsvollstrecker, und Emily befürchtete, dass Lisa ihn überreden würde, nichts von ihren Sachen zu nehmen. Margaret würde alles bekommen und es dann vernachlässigen; Ostern hatte es bei Margaret wie in einem Saustall ausgesehen, Wäschehaufen in den Ecken der Kinderzimmer, eine dicke Staubschicht unter den Betten.
      Sie musste noch die Zeitung auf Kenneths Einkaufsliste schreiben. Da war noch etwas, was ihr einfach nicht einfallen wollte.
      «Ich verstehe Ihre Verwirrung, Herr Anwalt», las sie zum zweiten Mal, doch die Szene im Amtszimmer des Richters war weit weg und abgedroschen. Es war zu früh zum Lesen, mittags würde sie Kopfschmerzen haben. Der Regen machte ihrer Stirnhöhle zu schaffen. Sie musste die Ansichtskarte an Louise schreiben, vielleicht lag es daran. Sie legte das Buch beiseite. Rufus lag zusammengerollt zu ihren Füßen und blickte auf, als wolle sie weggehen. Er kam ihr zuvor, erhob sich schwerfällig, und Emily lehnte sich zurück.
      «Wo willst du denn hin?», fragte sie. «Für einen Spaziergang ist es zu nass.»
      Er legte den Kopf leicht auf ihr Knie und wollte sich streicheln lassen, als hätte er sie verstanden.
      wJa», girrte sie, «du sitzt hier genauso fest wie alle anderen.»
     
     
* 2
     
    Es hatte keinen Sinn aufzustehen. Über ihnen prasselte der Regen aufs Dach, wie Finger, die geistesabwesend auf einen Tisch trommeln. Warm eingemummelt drückte sich Lise an Kens Rücken und lauschte dem stetigen Geräusch.
      «Lass uns den ganzen Tag im Bett bleiben.»
      «In dem hier?», fragte er, denn die Matratze war hart, und das Bettlaken rutschte ständig weg.
      «In irgendeinem.»
      «Und was ist mit den Kindern?»
      «Die können ihr eigenes Bett kriegen.»
      Ihre Finger zwirbelten die borstigen Haare an seinem Bauch, der kleine Finger umkreiste seinen Nabel. Als ihre Hand tiefer glitt, drehte er sich um.
      «Meg liegt da drüben», flüsterte er.
      «Und ich liege hier.»
      Sie drückte ihre Brüste an ihn, ihre stärkste Waffe. Im College hatte sie ihn Fotos davon machen lassen - nicht von ihrem gesamten Körper, nur ihren Brüsten -, künstlerisch aufgemachte geometrische Silhouetten in schattiertem Grau und grellem Schwarzweiß. Auf den Abzügen sahen sie aus wie Monde, wie eine Sonnenfinsternis. In ihrer ersten Wohnung in der Marlborough Street hatte er sie über ihr Bett gehängt. Damals hatte sie sich bereits daran gewöhnt, dass er ihr im Haus nachschlich und sie wie besessen fotografierte - beim Schlafen, beim Anziehen, auf der Toilette. Sie hatte ihre Hemmungen verloren, sodass auch auf den eindeutigsten Fotos eine Vertrautheit zu spüren war, der sie gern als Motiv diente. Inzwischen war sie noch stolzer auf diese Bilder und auf das Mädchen, das Ken vertraut hatte, als würden die Fotos nicht nur ihre Schönheit dokumentieren, sondern auch ihren Mut.
      «Das geht nicht», sagte er, und obwohl er Recht hatte - Ella und Sarah lagen noch in ihren Schlafsäcken -, war Lise enttäuscht.
      Sie wollte bloß, dass er mit ihr flirtete und mit der Möglichkeit spielte. Am vorigen Abend war es so schön gewesen. Der Gedanke, dass sie einfach wieder zur Tagesordnung übergehen könnten, war ihr unerträglich. Sie hatte das Gefühl gehabt, ihr nächtliches Bad im See sei ein Versprechen gewesen, aber vielleicht ersehnte sie auch bloß eine Veränderung und hatte sich an das erste hoffnungsvolle Anzeichen geklammert.
      «Ich weiß», sagte sie, legte sich flach auf den Rücken, ihre Brüste sackten schlaff in ihre Achseln.
      «Jetzt bist du wütend.»
      «Ich bin nicht wütend. Warum sollte ich wütend sein?»
      «Keine Ahnung, aber es ist so.»
      Sie war nicht wütend, sie wollte bloß, dass sie wieder in Verbindung traten, wieder das junge Liebespaar waren, das mit Kens Lampen und Objektiven herumspielte und sich keine Gedanken ums Geldverdienen machte, solange es sich amüsierte. Ihr gemeinsames Leben, das so offen begonnen hatte, so aufeinander konzentriert, schien inzwischen von Kens

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