Abschied von Chautauqua
Rückweg zur Küche erholte sie sich von dem Schreck und zeigte wieder Entschlossenheit. Sie war schon mit Blattläusen und Kartoffelkäfern und in einem Sommer sogar mit einer Japankäferplage fertig geworden. Henry hatte über ihre Rücksichtslosigkeit gelacht, darüber, dass sie ihren Garten verteidigte wie eine Mutter, die ihre Jungen schützte.
Sie hatte die Karte an Louise vergessen. Völlig vergessen.
«Verflixt.»
Den Regenschirm ließ sie lieber draußen liegen, als sich damit durch die Tür zu zwängen. Sie hatte gedacht, unter dem Spülbecken stehe ein Eimer, doch letztlich benutzte sie den großen Kochtopf und ließ heißes Wasser hineinströmen, während sie das Bon Ami suchte. Das süßliche Geschirrspülmittel würde bloß noch mehr Ameisen anlocken.
Für den Topf brauchte sie beide Hände und musste an der Ecke der Arbeitsplatte stehen bleiben und die Tür öffnen, bevor sie sich hindurchzwängte. Beim Gehen schwappte das Wasser über. Der Regen prasselte auf sie herab, eine kaum spürbare Last in ihrem Haar. Es kam kein Auto, deshalb stellte sie den Topf auf der Straße ab. Sie sah vor sich, wie sie es anfangen wollte. Sie würde Papiertücher brauchen, doch erst wenn dieser Teil erledigt war, und ihr fiel ein - zu spät -, dass Henry vermutlich ein Spray in der Garage hatte. Wer weiß, wie alt es war und sie vertraute sowieso nicht auf Sprays. Das hier war besser.
Sie griff nach dem Riegel, mit dem man die Klappe öffnete, zog ihn herunter und wich zurück. Bei den Ameisen ging es drunter und drüber, sie spritzten auseinander und streckten ihre Antennen in die Luft. Emily bückte sich und hob den Topf hoch, in dem das trübe Wasser wie Suppe dampfte.
Ihr erster Versuch ging halb daneben, und das Wasser platschte ins Gras. Das Wasser, das getroffen hatte, rann rings um die Klappe heraus, die voll schwimmender Ameisen war. Die Post blieb im Briefkasten liegen, ein durchnässter Hügel; sie griff hinein, zog sie mit spitzen Fingern heraus und ließ sie auf die Straße klatschen. Es regnete stärker, sie spürte es im Gesicht, merkte, wie ihr das Wasser von der Stirn tropfte. Ihr zweiter Versuch war besser, er löste einen Wasserfall aus und brachte den möglichen Grund zum Vorschein - einen Popsicle-Stiel. Die Ameisen, die von der zurückschwappenden Welle erfasst wurden, zappelten mit den Beinen, als sie über den Rand gespült wurden. Auf dem Boden wurde ein wimmelnder Haufen unter ihrem Schuh vernichtet. Sie schüttete das restliche Wasser in den Briefkasten, stampfte hin und her und schabte gründlich mit den Sohlen über die Körper der Ameisen.
Noch immer waren ein paar im Briefkasten, doch jetzt flüchteten sie, rannten unter der hochklappbaren Flagge und über dem roten Reflektor an der Außenseite entlang. Emily hatte ihnen Beine gemacht. Sie brauchte noch mehr Wasser, eine Taschenlampe, um ins Innere schauen zu können, und Papiertücher. Sie verspürte ein seltsames Triumphgefühl, als hätte sie eine große Herausforderung bestanden. Doch wie absurd kam es ihr vor, wie lächerlich musste es auf jemand anderen wirken, einen Haufen Ameisen zu bekämpfen. Als sie mit dem Topf zur Küche zurücklief, dachte sie, dass jeder, der sie beobachtet hatte, sie für verrückt halten musste. Allein der Gedanke brachte sie zum Lachen.
* 10
Ken war erwartungsgemäß bei dem Film eingeschlafen, und die kalte Luft und der Regen - der wie Schnee durch das Licht der hohen Laternen trieb - waren erfrischend und notwendig. Der Himmel war ein Blaufilter, die Welt ein billiger Horrorstreifen, nur Nebel und schwarze Bäume.
Er sah einen Jungen am Kartenschalter stehen und hätte ihm am liebsten gesagt, er solle drinnen auf seine Eltern warten. Wie einfach das wäre, einer fährt, der andere zerrt ihn in den Wagen. Sie könnten so tun, als wäre der Würgegriff bloß Teil einer Balgerei.
Diesmal durften die Mädchen zusammen hinten sitzen, und er musste Sam bitten, sich nach vorne zu setzen. Beim ersten Mal tat Sam so, als hätte er nichts gehört, und als Ken die Aufforderung wiederholte, bekam seine Stimme ungewollt einen schneidenden Ton. Nachdem sie den Parkplatz verlassen hatten, herrschte im Auto eine Weile Schweigen.
Hinter ihm schaltete Justin seinen Game Boy ein. Die Mädchen spielten ihre Lieblingsszenen nach, fegten mit den Händen durch die Luft und machten dazu Kung-Fu-Laute.
Sam starrte zum Fenster hinaus und ignorierte Ken, als er
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