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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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sagte Meg. «Krautsalat.»
      Lise wusste, dass von dem Fisch das meiste oder sogar alles tiefgekühlt und das Krebsfleisch nicht echt sein würde, sondern dieses Gummizeug, das in Japan hergestellt wurde. Sie fragte sich, ob Meg je gute Meeresfrüchte bekam, da sie im Landesinneren wohnte. Falls Lise einen Grund brauchte, um auf Neuengland stolz zu sein, dann lieferten ihn solche Lokale.
      Die Fischsuppe schmeckte wie Kleister, doch auch das spielte keine Rolle. Das Essen war ihr egal - genau wie die Klimaanlage, der Saal kühl wie ein Leichenschauhaus. Nichts davon spielte eine Rolle, und doch spürte sie, wie sie übertrieben kritisch wurde und alles, was man ihr vorsetzte, mit einem vernichtenden Urteil bedachte, wie die geringsten Kleinigkeiten sie wütend machten. Sie begriff nicht, warum, und was noch schlimmer war, sie konnte auch nicht damit aufhören.
      «Manchmal», sagte sie, «hab ich das Gefühl, dass ich alles satt habe. Sag mir jetzt bloß nicht, dass es allen so geht.»
      «Doch, natürlich. Was meinst du, warum es diese ganzen Schießereien gibt? Was meinst du, wo die Aggressivität im Straßenverkehr herkommt? »
      «Was wohl kaum für die Mehrheit im Land gilt.»
      «Das sind bloß die schlimmsten Fälle, aber denk mal an all die häusliche Gewalt. Diese Leute haben alles satt und lassen es an ihren nächsten Angehörigen aus.»
      Lise versuchte, die tiefere Bedeutung von Megs Worten zu erfassen, und widersprach ihr zugleich. «Aber die meisten Leute, da wirst du mir wohl zustimmen, sind glücklich mit ihrem Leben. Sonst würden sie es doch ändern.»
      «Wie denn? Wie würdest du dein Leben ändern?»
      Lise dachte zuerst an Ella und dann an Sam. Ken würde sie nicht ändern, sie wollte bloß, dass er ihr wieder näher war. Doch bei sich, der Art, wie sie ihr Leben führte, hatte sie keine Ahnung.
      «Ich weiß nicht», gestand sie.
      «Weil du's nicht kannst», sagte Meg. «Du kannst nicht einfach morgens aufwachen und beschließen, dass du nicht mehr so weiterlebst wie bisher. Du kannst so tun, als ob, aber das funktioniert nicht. Du kehrst immer zu dem Menschen zurück, der du bist. Manchen Leuten gefällt das nicht, aber so läuft es.»
      Lise erkannte in ihren Worten die Plattitüden aus der Reha und fragte sich, wie sich das darauf anwenden ließ, dass Jeff Meg verlassen hatte.
      «Ich glaube, ich will mein Leben nicht ändern, ich will bloß, dass es besser wird.»
      «Das ist machbar», gab Meg zu. «Du musst nur rausfinden, was du willst, und dich dann tierisch anstrengen, es zu erreichen.»
      «Hört sich einfach an.»
      «Es ist einfacher, als etwas in Ordnung zu bringen, das du schon zerstört hast. Das sagt wenigstens meine Therapeutin.»
      Die Kellnerin brachte die Hauptgerichte und nahm die Suppe, die Lise kaum angerührt hatte, wieder mit. Als sie abgeräumt hatte, sagte Meg: «Im Moment mach ich wahrscheinlich die schlimmste Zeit meines Lebens durch, und weißt du, was meine größte Sorge ist?»
      «Was?»
      «Geld. Ist das nicht furchtbar? Ich muss mit all dem anderen Zeug fertig werden, aber bevor ich auch nur drüber nachdenken kann, muss ich mich um das Geld kümmern.»
      Lise hätte auf ihre eigenen Geldprobleme verweisen können fand aber, dass es nicht dasselbe war. Das war Kens größte Angst, die unmögliche Aufgabe, Rechnungen bezahlen zu müssen die viel zu hoch waren, und sich an niemanden wenden zu können, während die Schulden von Monat zu Monat stiegen, ihre Ersparnisse sich in nichts auflösten, sie ins Minus rutschten und die Bank ihnen Drohbriefe schickte.
      Sie versuchte, die schlimmste Zeit in ihrem eigenen Leben zu bestimmen, doch es gelang ihr nicht. Ihr Leben war leicht gewesen - nicht perfekt, aber ohne große Verluste. Ihre Eltern waren noch am Leben, ihre Kinder gesund, Ken liebte sie auf seine zerstreute Art. Mehr zu verlangen wäre gierig.
      Selbst ihre Unzufriedenheit war grundlos, und sie fand, das bewies mehr als alles andere, dass nicht mit ihrem Leben, sondern mit ihr etwas nicht stimmte.
      Meg beklagte sich weiter, dass sie vielleicht ihr Haus verlieren würden, und obwohl Lise nachfühlen konnte, wie schrecklich das war, und Meg aufrichtig bedauerte, wollte sie von deren Unglück nichts mehr hören. Sie kannte es sowieso. Sie wünschte sich, Meg wäre wieder unnahbar, ein Rätsel. Sie wünschte sich, sie wären wie die übrigen Paare ringsum, würden über Belanglosigkeiten

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