Abschied von der Küchenpsychologie
in derselben Situation unterschiedlich. Einige reden, andere schweigen; einige schimpfen, andere besänftigen. ( 2 ) Ein Mensch zeigt über die Zeit hinweg eine gewisse Stabilität («bleibt sich gleich»). Leo war schon in der Schulzeit eher ein Schweiger, und Ines fiel schon immer durch ihr impulsives Verhalten auf. ( 3 ) Meist zeigt ein Mensch auch über verschiedene Kontexte hinweg eine gewisse Konstanz: Leo spricht nicht gern vor Publikum, weder im Seminar noch auf einer Feier. Das alles bedeutet: Menschen sind in einer für sie typischen Weise zu bestimmten Verhaltensweisen «disponiert». Die Personmerkmale werden daher auch als Dispositionen bezeichnet. Entstanden sind sie durch die individuellen Entwicklungsfaktoren.
Wenngleich im Prinzip immer beide Seiten, Person und Kontext, das Geschehen bestimmen, gibt es doch Beispiele mit einem Übergewicht der einen oder der anderen Seite. «Übergewicht» heißt: Ein Verhalten ist typisch für bestimmte Personen bzw. typisch für bestimmte Kontexte. Sehr
person
typisch sind natürlich Fähigkeiten, Interessen, Temperamentsmerkmale usw. (s.S. 64 f.), und in extremer Weise überwiegen Personfaktoren etwa bei krankhaften Erscheinungen wie Wahnvorstellungen oder Süchten. Sie bestimmen zuweilen von früh bis spät das Fühlen, Denken und Verhalten des betroffenen Menschen und lassen sich durch externe Faktoren kaum beeinflussen. Es ist geradezu ein Kennzeichen des Krankhaften, dass diese Menschen nicht mehr flexibel auf wechselnde Situationen reagieren können. Sehr starke Personabhängigkeit kann aber auch «starke Persönlichkeit» in positivem Sinne bedeuten, beispielsweise als moralische Autonomie eines Menschen, der sich, anders als die meisten Mitmenschen, auch gegen Widerstände und Drohungen nicht von seinem Kurs abbringen lässt (extremes Beispiel: Mahatma Gandhi). Dass ihnen diese Eigenständigkeit von Gegnern oft als «Verrücktheit» ausgelegt wird, ist eine andere Sache!
In anderen Fällen wird demgegenüber das Verhalten stark von
Kontext
faktoren bestimmt. Menschen von unterschiedlichster Persönlichkeit verhalten sich weitgehend ähnlich, z.B. bei feierlichen Veranstaltungen, in der Oper oder in der Kirche. Es gibt also Kontexte, die ein bestimmtes Verhalten nahezu «erzwingen».
Von
welchen
Kontexten das Verhalten beeinflusst wird, das ist allerdings zum Teil wiederum von der Person abhängig. Wir sind den Umwelten ja nicht einfach nur ausgesetzt, sondern wir suchen vorrangig bestimmte Umwelten auf – und zwar möglichst passend zu den eigenen Interessen, Vorlieben und Fähigkeiten. Ein Naturfreund sucht den Wald auf, ein extravertierter Mensch sucht Geselligkeiten, ein politisch interessierter Mensch verfolgt Debatten. Und diese Kontexte wirken auf den Einzelnen wieder zurück.
4.4 Die Person: ein einzigartiges Gefüge von Dispositionen
Der vorangehende Abschnitt sollte deutlich machen, dass die konkrete Art des Denkens, Fühlens usw. sowohl von der betreffenden Person als auch vom jeweiligen Kontext abhängt. Schauen wir uns nun die Personfaktoren etwas genauer an.
Person: Worin sich Menschen unterscheiden
Wenn wir einen Menschen «kennen», können wir in gewissem Grade vorhersagen, ob wir ihn eher gelassen oder eher reizbar antreffen werden, ob er viel reden oder viel zuhören wird, ob er temperamentvoll oder bedächtig reden wird, ob er eher über Fußball oder über Politik reden wird usw. Das heißt: Er ist zu
bestimmten
Emotionen, Motivationen, Gedanken und Verhaltensmustern besonders «disponiert». Anders gesagt: Die aktuellen Prozesse haben persontypische Färbungen – und wir bezeichnen diese z.B. als die Einstellungen, Interessen, Fähigkeiten, Vorlieben, Gewohnheiten oder das Temperament eines Menschen. All dies sind ja Begriffe für personale Faktoren bzw. Dispositionen. Streng genommen gehören dazu zwar auch allgemein-menschliche Dispositionen wie etwa Reflexe oder biologische Bedürfnisse. Aber gemeint sind fast immer solche Aspekte, in denen sich Menschen unterscheiden.
Die Psychologie hat immer wieder versucht, die uferlose Zahl von Einzelaspekten, in denen Menschen sich unterscheiden, auf eine überschaubare Zahl von Eigenschaften zu reduzieren. Besonders häufig wird in der gegenwärtigen Psychologie das sog. Big-Five-Konzept erwähnt. Big Five – das sind in Südafrika Büffel, Elefant, Leopard, Löwe und Nashorn, und in der Persönlichkeitspsychologie sind es die folgenden umfassenden Eigenschaften (hier in der
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