Abschied von der Küchenpsychologie
um
Lernvorgänge
, die durch die
Umwelt
und die
Eigenaktivität
der Person gesteuert werden.
Reifung
Der Begriff der Reifung ist nicht in einem wertenden Sinne zu verstehen («Sie ist reifer und vernünftiger geworden»), sondern in einem biologischen: als Entfaltung eines genetischen Programms, das das Wachstum von Gehirn, Sinnesorganen, Muskulatur etc. steuert. Die Reifung zeigt sich besonders deutlich in der alterstypischen Entwicklung der ersten Lebensjahre, etwa in der Abfolge vom Krabbeln bis zum ersten Laufen um den 13 . Lebensmonat herum oder in der Produktion von Zwei-Wort-Sätzen ungefähr um den 18 . Lebensmonat. Solche Verläufe findet man bei fast allen Kindern, und man kann diese Entwicklung auch nicht nennenswert beschleunigen. Typisch und unvermeidlich sind aber auch Alterungsprozesse; sie werden zuweilen als negative Reifung bezeichnet.
Für all diese Entwicklungen bildet das
Genom
, die Gesamtheit der genetischen Informationen eines Menschen, die entscheidende Grundlage. Die genetische Verankerung bedeutet aber nicht, dass die Umwelt dabei keine Bedeutung hat. Normale Reifung braucht eine normale Umwelt; eine gravierend mangelhafte Umwelt (z.B. Schadstoffe, schlechte Ernährung, Kontaktmangel) kann die Reifung behindern. Und auch wenn ein bestimmtes Reifungsniveau erreicht ist, beispielsweise für das Erlernen von Sprachfertigkeiten, hängt es doch von der Umwelt ab, was tatsächlich gelernt wird. Das gilt für die alterstypische Entwicklung ebenso wie für die frühzeitige Entfaltung besonderer Begabungen. (Mehr zur Rolle individueller Erbanlagen in Kapitel 7.2 , S. 124 ff.)
Lernen
Der Begriff des Lernens meint in der Psychologie nicht allein die Aneignung von Wissen und Fertigkeiten, sondern jede Veränderung von Dispositionen aufgrund von
Erfahrungen
. Auch Einstellungen, soziale Kompetenzen, Selbstkontrolle oder Ängste können gelernt werden. Der Lernvorgang selbst kann allerdings unterschiedlich aussehen. Frühe Theorien, die jegliches Lernen nach einem einzigen Prinzip erklären wollten, haben sich nicht bewährt. Wie viele Lernarten zu unterscheiden sind, ist zwar nicht verbindlich festgelegt, aber einige Arten werden in jedem Lehrbuch genannt und kommen auch an mehreren Stellen dieses Buches zur Sprache.
Da ist zunächst eine Lernform, die jeder kennt: das
Lernen am Modell
. Man lernt hier, indem man beobachtet, was andere Menschen vormachen, und das kann vieles sein: z.B. Sprachmuster, Essmanieren, das Bedienen einer Maschine, Erziehungspraktiken, Diskriminierung bestimmter Gruppen oder Abneigung gegen bestimmte Speisen. Bedeutsam ist das Lernen am Modell also für soziale oder motorische Verhaltensweisen ebenso wie für emotionale Reaktionen. Das eigentliche Lernen ist dabei nur das Speichern des beobachteten Verhaltens im Gedächtnis; ob es tatsächlich nachgeahmt wird, ist eine andere Sache. So haben fast alle Menschen schon im Krimi gesehen, wie man einen Mensch töten kann, ohne dies jemals nachzumachen. Letztlich hängt die Nachahmung, wie jedes Verhalten, von vielerlei Person- und Kontextfaktoren ab.
Wir lernen aber nicht nur am Modell, sondern auch
am Effekt
; genauer: aus den Konsequenzen unseres Verhaltens. Im Umgang mit Menschen lernt man Verhaltensweisen, die freundliche Reaktionen hervorrufen, und vermeidet andere, für die man böse Blicke erntet. Man lernt aus den Reaktionen eines Autos, die Kupplung sanft zu bewegen und den Motor nicht abzuwürgen. Man entwickelt eine Vorliebe für Tätigkeiten, die man gut kann, und eine Abneigung dort, wo man nur Misserfolge hat. Genau genommen lernt man durch die Effekte nicht ganz neues Verhalten, sondern Gewohnheiten, also die
Tendenz
, bestimmte Verhaltensweisen auszuführen oder zu vermeiden. Übrigens sind für dieses Lernprinzip neben Lernen am Effekt auch andere Bezeichnungen üblich: Lernen am Erfolg und Misserfolg, Lernen durch Verstärkung oder Bekräftigung sowie operante Konditionierung (in Fachbüchern). Lernen durch Versuch und Irrtum passt ebenfalls, sofern der Erfolg durch blindes Probieren zustande kommt, doch oftmals geschieht dies durchaus gezielt und planmäßig.
Als einfachstes Lernprinzip, das man schon bei so niedrigen Organismen wie Fadenwürmern findet, gilt die sog.
klassische Konditionierung
(auch reaktive Konditionierung oder bedingter Reflex). Entdeckt wurde sie von dem russischen Physiologen Pawlow. In seinem berühmtesten Experiment bekam ein Hund sein Futter mehrmals gleichzeitig mit einem
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