Abschied von der Küchenpsychologie
wissenschaftlich überzeugend und konsensfähig. Motivationen werden in der modernen Psychologie größtenteils auch nicht als drängender Trieb gesehen (als
push
-Phänomen), sondern als ein Ergebnis von Anreizen und Erwartungen, durch die Menschen zu einem Ziel hingezogen werden (als
pull
-Phänomen). Konsensfähig ist die Unterscheidung von zwei großen Gruppen: zum einen körpernahe Mangelbedürfnisse wie Hunger, Schlaf, physische Sicherheit etc., zum anderen höhere Wachstumsbedürfnisse wie etwa Interessen oder das Streben nach Leistung, nach Anerkennung oder nach Macht. Für Mangelbedürfnisse passt die Vorstellung vom Drang noch recht gut, für die höheren Motivationen passt eher die Vorstellung von «magnetischen» Zielen.
So hilfreich es ist, die Motivation zu kennen, wenn wir ein Verhalten verstehen wollen, so unmöglich ist es jedoch, einer bestimmten Art des Verhaltens jeweils eine bestimmte Art der Motivation zuzuordnen. Denn dieselbe Motivation kann sich in sehr unterschiedlichem Verhalten äußern. So kann man etwa aus Anerkennungsbedürfnis fleißig sein, anderen nach dem Munde reden, Hilfe leisten oder Geschenke machen. Umgekehrt kann die gleiche Art des Verhaltens sehr unterschiedlich motiviert sein. Wer etwas schenkt, tut es vielleicht, um einen Menschen zu erfreuen, um Zuneigung zu erlangen, um eine Konvention einzuhalten, um zu bestechen, um aus schlechtem Gewissen etwas gutzumachen etc. Ebenso steckt hinter aggressivem Verhalten nicht immer ein Aggressionsbedürfnis, sondern vielleicht ein Bedürfnis nach Beachtung oder Durchsetzung.
Selbstverständlich können hinter einer Handlung gleichzeitig
mehrere
Motivationen wirksam sein. Sie können alle in dieselbe Richtung gehen (z.B. Lernen aus Interesse
und
für die Karriere), oder auch in entgegengesetzte – in diesem Fall spricht man von einem
inneren Konflikt
. Beispiele: Jemand hat den Wunsch nach menschlicher Nähe und zugleich Angst davor; jemand möchte mit seiner Arbeit vorankommen, aber auch Freunde besuchen, auch Fußball spielen usw.
Wilhelm Busch über einen inneren Konflikt
Transpirierend und beklommen
ist er vor die Tür gekommen,
oh, sein Herze klopft so sehr,
doch am Ende klopft auch er.
Es ist normal, dass Menschen gleichzeitig verschiedene Motivationen spüren. Um handlungsfähig zu bleiben, muss man daher
entscheiden
, welche Motivation zu welchem Zeitpunkt Vorrang haben soll. Sonst würde man ständig hin und her schwanken und nichts wirklich zustande bringen. Dieses geordnete Handeln ergibt sich also nicht aus den Motivationen selbst, sondern man muss zusätzlich dafür sorgen, dass das Handeln
auf Zielkurs bleibt
– zuweilen gegen widrige Umstände, gegen Angst, Ekel oder Unbequemlichkeiten.
Diese Selbstregulationsprozesse, die für die Umsetzung einer Motivation sorgen, fallen in der Psychologie unter die Begriffe
Wille, Wollen
oder
Volition
. Willensprozesse äußern sich unter anderem darin, dass man feste Absichten bildet (z.B. um 8.40 Uhr eine Arbeit zu beginnen), dass man sich den berühmten inneren Ruck zum Anfangen gibt, dass man sich voll auf eine Sache konzentriert und sich gegen Störungen und Ablenkungen abschirmt.
Verhalten und Handeln
Das Verhalten ist sozusagen der äußere Teil der psychischen Prozesse. Durch Verhalten wirken Menschen auf ihre Umgebung ein, beispielsweise durch Sprechen, Gesten, manuelle Tätigkeiten oder die daraus entstehenden Produkte (Schriften, Kunstwerke etc.). Die Art des Verhaltens wird bestimmt von den beschriebenen inneren Prozessen, allerdings in unterschiedlicher Weise. Man kann hier differenzieren in:
Reflexe, einzelne motorische Reaktionen, z.B. Lidschlussreflex
Ausführungsroutinen, Automatismen: z.B. Sprechgewohnheiten, Mimik, manuelle Fertigkeiten beim Schreiben, Zeichnen, Musizieren etc.
Handlungen und Teilhandlungen: einen Text schreiben, ein Lied vortragen, einkaufen etc.
Die Reflexe sind am wenigsten, die Handlungen am engsten an innere Prozesse gebunden. Für Reflexe braucht man nicht einmal eine erkennende Wahrnehmung, erst recht nicht Denken und Motivation. Routinen und Automatismen werden ebenfalls wenig von bewussten Prozessen geleitet, umso mehr hingegen von den Spuren im motorischen Gedächtnis. Aber sie sind gewöhnlich in Handlungen eingebettet, sie stehen in deren Diensten. Das Tippen auf der Tastatur ist eine Routine im Dienste einer Handlung, nämlich einen Text zu schreiben.
Diese
Handlung
selbst wird von Zielen geleitet, gedanklich
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