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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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Glockenton, und bald darauf reagierte er allein schon auf den Ton mit Speichelfluss. Nach diesem Prinzip kann ein Kind z.B. Angst vor weißen Kitteln erlernen, weil es von einem Arzt im weißen Kittel eine Spritze bekam. Überhaupt hat diese Lernart beim Menschen große Bedeutung für
unwillkürliche
, insbesondere für
emotionale
Reaktionen. Während das Lernen am Effekt aktives Verhalten verändert, geht es hier also um eher passive Reaktionen auf bestimmte Reize, auf die man zuvor nicht so reagiert hat.
    Die drei beschriebenen Lernarten haben vornehmlich Bedeutung für das Erlernen von Verhalten, Verhaltenstendenzen und emotionalen Dispositionen, nur sehr begrenzt hingegen für den Erwerb von Wissen und geistigen Kompetenzen. Deren Entwicklung beruht vorrangig auf Lernprozessen, die als
kognitiv
oder informationsverarbeitend bezeichnet werden. Bei ihnen ist in hohem Maße Denken im Spiel, während das Lernen am Modell und das Lernen am Effekt auch unbewusst ablaufen können (die klassische Konditionierung ohnehin). Kognitives Lernen ist jedoch nicht ein einheitliches Prinzip, sondern eher ein Spektrum unterschiedlicher Prozesse. Denn es gibt verschiedene Arten von Wissen und Wissensbildung: von beiläufigem Behalten über mechanisches Einprägen bis hin zu schöpferischem Konstruieren. All dies wird an anderen Stellen ausführlich behandelt (s. Kapitel  12.1 , S.  305 ff.).
    Solche geistigen Lernprozesse kommen aber nicht nur bei schulischen und akademischen Wissensgebieten zur Geltung, sondern auch bei der Veränderung von Verhalten, von Emotionen und Motivationen. So wird ja das soziale Verhalten von Menschen maßgeblich von ihrem sozialen Wissen und Verständnis geleitet, und zu welchen Emotionen und Motivationen ein Mensch neigt, das hängt ganz wesentlich von seinen Bewertungen ab (hierzu mehr in den Kapiteln 8.2 und 8.3 über Stress bzw. Angst).
    Die Begriffe Lernen und Gedächtnis gehören eng zusammen, denn Lernen bedeutet, dass z.B. eine Wahrnehmung, ein Gedanke oder eine emotionale Erfahrung
Spuren
hinterlässt – und die müssen irgendwo gespeichert sein. Begrifflich liegt beim «Lernen» der Akzent auf der Bildung der Spuren, beim «Gedächtnis» auf dem Behalten und Reproduzieren. Im Alltagsverständnis von «Gedächtnis» ist dabei ein bewusstes Erinnern gemeint, also ein Denkvorgang. Da aber Vorlieben, motorische Fertigkeiten usw. auch «gedanken-los» erlernt und reproduziert werden können, muss es hierfür ebenfalls ein «Gedächtnis» geben; in der Psychologie spricht man hier häufig von «implizitem Gedächtnis».
    Umwelt und Eigenaktivität
    Was Menschen lernen, hängt in erheblichem Maße von ihrer Umwelt ab. Zur Umwelt gehören die Mitmenschen, kulturelle Normen, materielle Lebensverhältnisse und andere Bedingungen. Einige Umweltaspekte sind für (fast) alle Menschen gleich, etwa dass sie unter sprechenden Mitmenschen aufwachsen. Andere Umweltaspekte werden nur von den Mitgliedern bestimmter Kulturen, Religionsgemeinschaften usw. geteilt. Wieder andere sind familienspezifisch und werden nur von Geschwistern geteilt. Und viele wichtige Aspekte der Umwelt sind selbst für Geschwister ganz verschieden (mehr dazu in Kapitel  7.3 ).
    In jedem Falle: Die Umwelt ist ein Raum für Erfahrungen, und mit der Art der Umwelt variiert auch die Art der Lerninhalte. Lernpsychologisch betrachtet unterscheiden sich Umwelten unter anderem darin,
welches
Verhalten häufig vorgemacht wird,
welche
Verhaltensweisen Erfolg oder Misserfolg mit sich bringen,
welche
Sprache, Erkenntnisse und Denkweisen vermittelt werden usw.
    Aber wird das Lernen ausschließlich von der Umwelt bestimmt? Warum lesen Sie z.B. dieses Buch? War das nicht Ihre eigene Entscheidung? Und entwickeln Sie nicht häufig auch eigene Gedanken zu den Dingen, die Ihnen von der Umwelt «vermittelt» werden?
    Offenkundig sind Menschen zum Teil selber Gestalter ihrer Entwicklung, weil sie durch
eigene Aktivitäten
mitbestimmen, was sie lernen:
    Menschen werden nicht einfach nur passiv von Umweltereignissen «geprägt», sondern sie verarbeiten, interpretieren und bewerten sie.
Menschen beeinflussen und gestalten jene Umwelt, von der ihre Entwicklung mitbestimmt wird.
Menschen suchen bevorzugt bestimmte Umwelten auf und meiden andere.
Menschen setzen selber Lernprozesse in Gang, indem sie z.B. lesen, üben, trainieren, entdecken usw.
    Ein Beispiel: Wer «musikalische Gene» mitbekommen hat und in einer musikalischen Familie aufwächst, wird

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