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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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wahrscheinlich gerne Konzerte besuchen, sich Musikinstrumente kaufen, Unterricht nehmen und zu Hause kräftig üben. So wirken Genom, Umwelt und Selbstgestaltung zusammen.
    Sicherlich, die Eigenaktivitäten sind durchaus auch ein Produkt von Anlage und Umwelt. Doch das ändert nichts daran, dass das «Produkt» zugleich eine treibende Kraft ist – und zwar von Anfang an. Hat denn ein neugeborenes Kind nicht weit mehr Einfluss auf seine Umwelt als umgekehrt?!
    4.6 Der Kontext: Situationsfaktoren und interpersonale Bezüge
    Nach der Personseite ist nun die Kontextseite an der Reihe. Zum Kontext gehören in jedem Fall diverse Aspekte der äußeren Situation, der Umgebung.
    Situationsfaktoren
    Der zweijährige Leon hat ein schönes Kinderzimmer mit reichlich Spielzeug. Aber viel lieber spielt er bei Mama in der Küche. Dies ist allerdings selten möglich, weil die Küche ziemlich klein ist, und so breitet er dann sein Spielzeug auf dem Flur vor der Küche aus. Die Eltern äußern darüber ihr Missfallen, aber Leon möchte einfach nicht in sein Kinderzimmer am anderen Ende der Wohnung «abgeschoben» werden.
    Ein äußerer Faktor wie die Wohnungsarchitektur kann in ein psychologisches Problem münden. Und das gilt für viele Aspekte der Wohnsituation, wie Antje Flade berichtet. So spielen Kinder, die in hohen Stockwerken wohnen, seltener draußen mit anderen Kindern als Kinder aus unteren Etagen. Verkehrsbelastungen vorm Haus führen zu ähnlichen Einschränkungen und verzögern so indirekt auch die Entwicklung der Motorik und der Selbständigkeit.
    Unendlich viele Situationsfaktoren können unser Fühlen, Denken und Verhalten mitbestimmen: räumliche Bedingungen, Gegenstände wie Mobiliar und Werkzeug, physikalische Bedingungen wie Licht oder Lärm, Symbole wie Verkehrszeichen oder Uhren, verbale Informationen wie Texte oder Prüfungsaufgaben, andere anwesende Personen (sie bilden einen Übergang zu dem interpersonalen Grundaspekt, s.u.). Jeder einzelne solcher Faktoren kann darüber entscheiden, was man tut und wie man sich fühlt. Denken Sie nur an die Macht des Zeitdrucks, an eine schwierige Aufgabe oder einen hohen Geräuschpegel.
    Psychologisch ist auch die zeitliche Unterscheidung in
vorangehende
und
nachfolgende
Situationsbedingungen von Interesse. Die Rotschaltung einer Ampel oder eine Matheaufgabe wirken als vorangehender Stimulus auf das Denken und Verhalten. Doch auch nachfolgende Effekte wie Belohnungen und Bestrafungen haben eine Wirkung. Sie können das Verhalten sogar schon beeinflussen, bevor sie eintreten – sofern man sie nämlich
erwartet
. Erwartet man positive Effekte, heißt das: Die Situation bietet einen
Anreiz
, z.B. bei dieser Aufgabe eine gute Leistung zu zeigen. So entsteht dann eine aktuelle Motivierung – sofern die betreffende Person für solche Anreize empfänglich ist (dies ist der personale Faktor).
    Nachbemerkung: Wie aus den erwähnten Beispielen leicht zu erkennen ist, sind Situationsfaktoren inhaltlich dasselbe wie Umweltfaktoren. Aber als Situationsfaktoren wirken sie
im aktuellen Moment
, während der Begriff der Umwelt eher an relativ konstante Lebensbedingungen denken lässt. Nicht mehr «aktuell» und insofern nicht mehr «situativ» sind
vergangene
Situationseinflüsse. Falls sie aber «Spuren» in der Person hinterlassen haben (= Lernen), sind sie ein Faktor in der Entwicklungsgeschichte dieses Menschen geworden.
    Interpersonaler Kontext: Interaktion, Kommunikation, Beziehung
    Zwei Menschen, die man einzeln als liebenswürdig und vernünftig kennt, können zusammen ein ziemlich zerstrittenes Paar ergeben. Wo Menschen zusammentreffen, ist ihr Verhalten eben nicht allein aus ihrer Person und den Situationsfaktoren zu erklären, sondern immer auch aus der besonderen
inter
personalen Konstellation und Wechselwirkung.
    Zwar kann schon die bloße Anwesenheit anderer Personen, z.B. ein Publikum, auf einen Menschen Einfluss ausüben. Dann sind sie für ihn eher ein Situationsfaktor. Beim «Inter» geht es jedoch um mehr: um die wechselseitige Bezogenheit und Beeinflussung, um ein Zusammenspiel, das man nur versteht, wenn man die Personen
gemeinsam
betrachtet. Psychische Prozesse gibt es natürlich nur
in
den Personen und nicht zwischen ihnen. Das «Inter» ergibt sich aber daraus, dass die Prozesse aufeinander ausgerichtet sind und miteinander zusammenhängen. Das heißt: Person A nimmt das Verhalten von Person B wahr und wirkt mit seinem Verhalten auf B ein, B nimmt dieses

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