Abschied von der Küchenpsychologie
Paarbeziehungen, in Familien, in Schulklassen, im Betrieb. Gestört ist hier die Interaktion, Kommunikation und Beziehung der Beteiligten.
Der entscheidende Punkt des interpersonalen oder sog. systemischen Ansatzes ist also: Alle Beteiligten sind einbezogen: beide Partner einer Zweierbeziehung, Eltern und Kinder einer Familie, oder alle, die in einem Arbeitsbereich gut organisiert zusammenarbeiten müssen. Es gibt Fachleute, die auf solche Konzepte spezialisiert sind und als Berater, als Therapeut, als Supervisor oder als Mediator (Vermittler) tätig werden. Doch auch ohne professionelle Hilfe folgen Menschen dem interpersonalen Ansatz, wenn sie sich zusammensetzen und überlegen, wie sie künftig Missverständnisse vermeiden oder ihr Handeln besser koordinieren können.
Beispiel: Paarbeziehung
Sicherlich hängt das Schicksal jeder Zweierbeziehung mit der Persönlichkeit der Partner zusammen. So kann beispielsweise die Aggressivität oder mangelnde Verlässlichkeit eines Mannes mit jeder neuen Partnerin wieder zu heftigen Konflikten führen. Doch in anderen Fällen scheitern zwei Menschen, die beide eigentlich keine problematischen Eigenschaften mitbringen und die sich auch in ihren Interessen und Lebenszielen nicht zu weit unterscheiden. Sehr oft liegt es einfach an der Art ihrer Kommunikation.
Das mag trivial klingen, aber es ist keineswegs selbstverständlich, dass die Betroffenen das so sehen. Häufig sieht jeder das Problem beim anderen: «Du musst dein Verhalten ändern», oder gar: «Geh du mal zum Psychiater». Wer so denkt, sucht eine personale Lösung, nicht eine interpersonale. Dasselbe gilt, wenn in einer Familie ein bestimmtes Kind als gestört gesehen wird, nicht das Familienleben.
Einen guten Beweis für die Nützlichkeit des interpersonalen Ansatzes liefern Paartherapien. Denn sie richten – der Name sagt es – den Blick nicht auf persönliche Eigenschaften oder gar die «Schuld» von A oder B, sondern ganz auf den Umgang miteinander. Wie Studien belegen, können auf diesem Wege in vielen Fällen Beziehungen «geheilt» werden, obwohl die Partner schon eine lange Geschichte der Kränkungen und der Entmutigungen hinter sich haben.
Eine Verbesserung der Paarbeziehung ist, wie gesagt, vor allem eine Verbesserung der Kommunikation. Konkret kann das bedeuten: Die Partner achten darauf, dass sie nicht aneinander vorbeireden, sondern gute Sender und gute Empfänger sind. Wer etwas mitteilt, sagt dies nicht auf dem Weg zur Tür, sondern deutlich an den Partner gewandt. Der Empfänger wiederum zeigt, dass er zuhört, bestätigt etwas oder fragt noch mal zurück. Weiterhin lernen sie, ihre Gefühle, ihre Wünsche oder Kritik in einer Weise mitzuteilen, die einerseits für Klarheit sorgt, andererseits nicht bedrängend oder verletzend wirkt. (Hierzu mehr in Kapitel 10.1. )
Beispiel: Schulklasse
Nehmen wir an, das Problem mit den «rumschreienden» Schülern (s.S. 84 ) sei primär als Klassenproblem diagnostiziert worden und nicht als Problem mit einzelnen Schreihälsen. Dann ist folgerichtig eine Lösung auf Klassenebene zu versuchen. Die könnte etwa so aussehen, dass die Lehrerin, statt weiterhin einzelne Schüler zu ermahnen, der ganzen Klasse vorträgt, was sie als Problem empfindet: «Ich kann nicht in Ruhe erklären, ich komme in eine gereizte Stimmung, die Leiseren unter euch dringen mit ihren Antworten gar nicht durch» usw. Dann fragt sie die Schüler/innen nach ihrer Sichtweise. Damit auch die Stillen zu Wort kommen und ehrliche Äußerungen nicht durch Hemmungen gegenüber der Lehrkraft und Mitschülern verhindert werden, wählt sie hierfür eine anonyme Befragung mittels Fragebogen.
Sehr wahrscheinlich kommt heraus, dass viele Schüler/innen sich einen ruhigen und geordneten Ablauf wünschen, und sie sammelt nun Vorschläge, wie man das erreichen könnte. Man einigt sich auf verschiedene Maßnahmen: Eine Kuhglocke soll das Signal für den Stundenbeginn sein. Wenn die Lehrerin eine Frage an die Klasse stellt, legt sie den Finger auf den Mund, damit alle dran denken: Jetzt melden statt reinbrüllen. Wenn doch jemand brüllt, wird ein Strich an der Tafel notiert. Wenn nicht mehr als zehn Striche zusammenkommen (was in ihrem Unterricht der Hälfte des bisherigen Pegels entspräche), wird am Ende der Stunde Spielzeit gewährt oder die Hausaufgabe reduziert. Das Ziel wird von Woche zu Woche anspruchsvoller und die täglichen Belohnungen werden schrittweise durch verzögerte große
Weitere Kostenlose Bücher