Abschied von der Küchenpsychologie
Belohnungen ersetzt (z.B. Spielzeit am Freitag, ein Klassenfest in zwei Monaten). Vermutlich wird die Lehrerin schnell feststellen, dass sich die Schüler gegenseitig flüsternd ermahnen, damit sie die Belohnungen nicht verlieren. Da zu einem Klassenprojekt auch Verhaltensänderungen bei der Lehrerin gehören, verpflichtet sie sich, erstens keine Zurufe zu verwerten, auch wenn es gute Antworten sind, zweitens alle, die sich melden, wenigstens einmal pro Stunde dranzunehmen, und drittens auf Drohungen zu verzichten und nur mit den Belohnungen zu «locken».
Im Ergebnis ändern sich die Lehrer-Schüler-Interaktion und die Schüler-Schüler-Interaktion. Ein Klassenproblem wurde interpersonal gelöst und nicht durch Umerziehung von «Störern». Das schließt nicht aus, dass Gespräche mit Einzelnen und andere individuelle Maßnahmen noch hinzukommen.
Um ein anderes Problem unter Schüler/innen einzudämmen, nämlich Mobbing, ist es sogar sinnvoll, nicht nur die Klasse, sondern sogar die ganze Schule einzubeziehen. Denn Mobbing findet vorwiegend in den Pausen statt und richtet sich häufig gegen Kinder aus anderen Klassen. Auf der Ebene der Schule können einheitliche Verhaltensregeln, gleichartiges Handeln des gesamten Kollegiums und Unterstützung aus der friedlichen Mehrheit der Schülerschaft zu einem besseren Opferschutz beitragen. (Hierzu mehr in Kapitel 9.4. )
5.6 Veränderung durch äußere Faktoren = situativ
Frühes Aufstehen ist für viele Menschen ein schwieriger Akt der Selbstkontrolle. Wie also bringt man Millionen Menschen dazu, entgegen ihren eingeschliffenen Gewohnheiten beispielsweise um 6 Uhr statt um 7 Uhr aufzustehen? Nun, alle kennen die Lösung mit der sog. Sommerzeit: Wir benennen 6 Uhr in 7 Uhr um, indem wir die Uhren eine Stunde vorstellen. Diese relativ sanfte Methode funktioniert weltweit, und zwar nicht nur durch den Situationsfaktor namens Wecker, sondern weil sich das gesamte Umfeld zeitlich mitverändert: das Radioprogramm, die Fahrpläne, die Ladenöffnungen etc. Klar, der eigene Biorhythmus muss ein bisschen umlernen, aber ansonsten ändert sich das Verhalten ohne Änderung der Person, sondern ausschließlich durch den äußeren Kontext.
Situationsfaktoren, die unser Verhalten beeinflussen, gibt es in großer Zahl (s.S. 72 ff.), und manchmal kann man sie so gestalten, dass man bestimmte erwünschte Effekte erzielt.
Umgebungsfaktoren
Was kann eine Lehrerin tun, wenn zwei Schüler zu oft miteinander schwatzen? Nach einem alten Rezept setzt man die beiden auseinander. Was kann der Leiter eines Supermarktes tun, damit die Kunden nicht zu viele Billigprodukte kaufen? Er platziert die teuren Waren in Augenhöhe und die billigen als Bückware. Und wie kann ein Architekt in einer Wohnanlage soziale Kontakte fördern? Er baut z.B. eine kleine Grünfläche mit Sitzbänken vor den Hauseingang, wo sich Bewohner leicht begegnen und ein wenig aufhalten können. Andere einflussreiche äußere Faktoren sind Verkehrszeichen, Klingeltöne oder eine gute Beleuchtung in Wohnanlagen, die zur Eindämmung krimineller Handlungen beitragen kann.
Richard Thaler und Cass Sunstein bezeichnen kleine Faktoren, die das Verhalten in eine bestimmte Richtung lenken, ohne den Menschen ihre Entscheidungsfreiheit zu nehmen, als «nudge», als sanften Schubs. Als besonders kurioses Beispiel für die «Macht» eines kleinen optischen Reizes erwähnen sie die Fliege im Urinal. Weil manche Männer nicht so genau darauf achten, dass nichts danebengeht, klebte man in den Herrentoiletten des Amsterdamer Flughafens Schiphol (inzwischen auch anderswo) mitten in jedes Urinal das Bild einer Stubenfliege – ein Blickfang und eine Herausforderung, die die Treffsicherheit offenbar immens steigerte.
Ein ganz andersartiges Beispiel sind attraktive Spielangebote für Schulkinder. So konnten Murphy und Mitarbeiter erreichen, dass in der Grundschule während der Pausen aggressive Verhaltensweisen wie Schlagen, Wegnehmen oder Zerstören zurückgingen, indem sie Seilspringen, Wettrennen und Ähnliches organisierten. Hier setzt die Einflussnahme allerdings nicht nur an äußeren Umgebungsfaktoren an (Spielzonen, Spielmaterial), sondern zugleich am interpersonalen Miteinander.
Informationen, die stupsen, locken oder hemmen
Von außen kommen nicht nur physikalische Reize, sondern auch Informationen. Bezüglich unseres Themas ist dabei nicht die Kommunikation im persönlichen Austausch gemeint, sondern die anonyme externe
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