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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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schon nach kurzer Zeit wurden die neu zusammengewürfelten Jungen miteinander warm, und fragte man sie nach ihren «besten Freunden» im gesamten Lager, so nannten sie fast ausschließlich Jungen aus ihrer neuen Gruppe. Dies geschah, ohne dass irgendjemand versucht hatte, eine positive Einstellung gegenüber diesen Jungen zu wecken, die zuvor ja nicht zu den «Freunden» gehört hatten. Der sozusagen erzwungene Umgang miteinander veränderte auch die Einstellung ihnen gegenüber, das heißt, er veränderte die Bewertungen und Gefühle gegenüber den «Neuen».
    Noch interessanter für die Relation von Einstellung und Verhalten sind jedoch die späteren Phasen dieses einfallsreichen Feldexperimentes von Muzafer Sherif, das in der Sozialpsychologie weltberühmt ist. Nachdem sich in jeder der beiden Gruppen ein gutes Wir-Gefühl entwickelt hatte, schürten die Betreuer einen Gruppenkonflikt, indem sie sportliche Wettkämpfe vorschlugen und attraktive Preise aussetzten – nur für die Siegergruppe. Es kam, wie es kommen sollte: Die enttäuschten Verlierer erhoben bald Vorwürfe wegen Fouls und Mogeleien, was wiederum die Sieger erboste, und alsbald mündete das Ganze in eine lange Serie gegenseitiger Racheakte mitsamt einem krassen Feindbild von «denen da drüben».
    In der dritten Phase wurden verschiedene Wege zur Aussöhnung ausprobiert. Nach dem Prinzip «Zuerst die Einstellung ändern» versuchten die Betreuer, Feindbilder abzubauen, indem sie positive Informationen über die Gegenseite verbreiteten und an den guten Willen zur Beendigung der Feindschaft appellierten – doch ohne jeden Erfolg. Genauso erging es einem Pfarrer, der eine Predigt über Nächstenliebe, Versöhnung mit dem Feinde und gegenseitige Hilfe hielt. Die Predigt selbst kam zwar bestens an, doch schon wenige Minuten später ging es mit den Racheakten wieder los.
    Bloße Kontakte beider Gruppen bei einem Feuerwerk oder einem Kinobesuch reichten ebenfalls nicht aus – wohl aber die wiederholte
Zusammenarbeit
unter einem übergeordneten Ziel. So brach eines Tages die Wasserversorgung zusammen, und die Gruppen suchten gemeinsam nach der Störung. Dann blieb der Lkw stecken, der die Verpflegung brachte, und nur die vereinten Kräfte
beider
Gruppen an
einem
Seil konnten ihn wieder flottmachen. Zu diesen Formen gemeinsamer Not kam noch eine Zusammenarbeit zwecks gemeinsamer Freude, nämlich die Vorführung eines attraktiven Films, für den nur beide Gruppen gemeinsam das nötige Geld aufbringen konnten. Im Laufe dieser Kooperationen ließen die Feindseligkeiten nach, Mitglieder aus verschiedenen Gruppen setzten sich an einen Tisch oder bildeten Freundschaften, und am Ende der Ferien stimmten fast alle dafür, gemeinsam in einem Bus statt getrennt nach Hause zu fahren.
    Die Einstellung kann dem Handeln folgen
    In diesem Experiment wurde durch äußere Anlässe ein kooperativer Umgang mit dem Gegner herbeigeführt, und als Folge davon änderte sich auch die Einstellung zueinander. Das schließt nicht aus, dass Veränderungen bei der Einstellung beginnen können, aber der umgekehrte Weg ist häufig der leichtere, etwa dann, wenn man das Verhalten gegenüber sozialen Minderheiten verändern möchte. Ein gemeinsames Ziel, das sich nur durch Kooperation erreichen lässt, ist dabei der ideale Ausgangspunkt. Im politischen Bereich sind dies häufig wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten. Die Kooperation ermöglicht dann positive Erfahrungen mit der anderen Seite und bringt dadurch eine Änderung der interpersonalen Einstellung mit sich.
    Aber es gibt noch eine weitere interessante Erklärung: Man passt seine Einstellung seinem tatsächlichen Verhalten an, um mit sich selbst im Einklang zu sein. Denn ein Widerspruch zwischen Einstellung und Handeln erzeugt eine unangenehme Spannung, die als kognitive Dissonanz bezeichnet wird. Um diese Dissonanz zu reduzieren, gibt es verschiedene Möglichkeiten. So kann man sein Handeln lediglich als einmaligen Ausrutscher betrachten, der die eigene Einstellung nicht wirklich in Frage stellt. Oder man bewertet sein Handeln jetzt anders, das heißt: Man ändert seine Einstellung. Jetzt findet man es richtig, wie man sich verhalten hat. Das ist vor allem dann der leichtere Weg, wenn das Verhalten wiederkehrend vorkommt.
    Menschen, die sich z.B. aufgrund ihrer Berufsrolle veranlasst sehen, über längere Zeit so zu handeln, wie es eigentlich nicht zu ihrer ursprünglichen Einstellung passt, werden wahrscheinlich ihre

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