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Abschied von der Küchenpsychologie

Abschied von der Küchenpsychologie

Titel: Abschied von der Küchenpsychologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Nolting
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eigennützig, sofern diese guten Gefühle eben mit dem Wohlergehen des Hilfeempfängers zu tun haben und nicht mit eigenen Vorteilen.
    9.4 «Kinder werden gemobbt, weil sie dick sind oder eine Brille tragen»
    Wer hat das nicht schon gehört oder selbst erlebt? Manche Kinder oder Jugendliche werden von anderen als «Abrissbirne», «fette Sau», «Brillenschlange», «Bohnenstange» oder ähnlich tituliert, und zwar nicht nur einmalig als entgleister «Scherz», sondern als wiederkehrende Herabsetzung, die nicht selten mit weiteren Unfreundlichkeiten verbunden ist: Die Opfer werden beschimpft, bedroht, herumkommandiert, gestoßen und getreten; Sachen werden ihnen weggenommen oder beschädigt, von Gemeinschaftsspielen werden sie ausgeschlossen etc. Solche fortdauernden Schikanierungen bezeichnet man als Mobbing oder Bullying.
    Welche Kinder werden Mobbingopfer?
    Sofern die Spottnamen und Bemerkungen sich auf körperliche Merkmale beziehen, mag es naheliegen, dass das Opfer
wegen
dieser Auffälligkeit gemobbt wird. Aber ist das so? Werden Kinder und Jugendliche verspottet und verprügelt,
weil
sie ein bisschen anders aussehen?
    Wie so häufig in der Alltagspsychologie (s.S.  26 ), wird auch hier die Bedeutung äußerlich sichtbarer Merkmale überschätzt. Der Pionier der Mobbingforschung im Schulbereich, der norwegische Psychologe Dan Olweus, hat ausführlich die typischen Kennzeichen von Mobbingopfern untersucht und es als Mythos entlarvt, dass besonders häufig Kinder gemobbt werden, die auffällig dick oder dünn sind, rote Haare haben oder eine Brille tragen. Zwischen gemobbten und nicht gemobbten Kindern fand er nur einen körperlichen Unterschied: die Opfer sind den Mobbern gewöhnlich an körperlicher Stärke unterlegen. Dass ein Zusammenhang mit körperlichen Merkmalen nicht zu finden war, liegt auch daran, dass nach Olweus 75 Prozent aller Kinder irgendeine äußere Abweichung haben. Doch die wenigsten werden ein Opfer wiederkehrender Schikanierungen.
    Aber welche Kinder dann? Die Forschungen zeigen hier einen eindeutigen Trend: Die meisten Opfer sind stille, schüchterne, gehemmte Kinder. In der Klasse haben sie kaum Freunde, in den Pausen stehen sie allein, bei Mannschaftsspielen werden sie als Letzte gewählt. Weil sie also psychisch schwach erscheinen, oft auch körperlich schwächer sind und selten Freunde haben, die ihnen zu Hilfe kommen, sind sie «ideale» Opfer. Durch die Angriffe werden sie natürlich noch verängstigter und ziehen sich noch mehr zurück – ein Teufelskreis.
    Die genannten Merkmale sind typisch für die große Mehrheit der Mobbingopfer. Doch eine Minderheit der Opfer zählt nicht zu diesem passiven, sondern zum provozierenden Typ. Diese Kinder neigen dazu, andere zu stören und anzugreifen, leicht aufzubrausen oder durch hyperaktives Verhalten «auf den Nerv zu gehen». Sie sind also Opfer und Täter zugleich.
    Dies alles heißt nun umgekehrt: Ein Kind, das selbstbewusst oder energisch auftritt und das genügend soziale Kompetenzen mitbringt, um Freundschaften zu entwickeln oder gar Anhänger um sich zu scharen – ein solches Kind bzw. Jugendlicher könnte, etwas überspitzt gesagt, gleichzeitig dick sein und schielen und eine Zahnspange tragen und würde wahrscheinlich dennoch nicht gehänselt und geprügelt werden.
    Wie kommt es zu diesem verbreiteten Irrtum, dass körperliche Merkmale ein Kind zum Opfer prädestinieren, während doch die psychischen Eigenschaften viel wichtiger sind? Da, wie gesagt, die meisten Kinder irgendeinen körperlichen «Makel» haben, lässt sich
auch
bei den Mobbingopfern meistens einer finden – oder er wird dem Opfer angedichtet! Und natürlich ist das ein schönes Angriffsziel. Denn wer zum eigenen Vergnügen andere lächerlich machen will, wer sich über andere erheben und die Lacher auf seiner Seite haben will, der hat mit Spottnamen und ähnlichen «Witzen» einen leichten Erfolg. Ein unschönes körperliches Merkmal ist etwas,
worüber
sich leicht spotten lässt, aber es ist nicht der
Grund
für die Herabsetzung. Man darf also das Objekt des Spottes nicht für die Ursache des Spottens halten.
    Wie kommt es zu Mobbing?
    Mobbing ist eine spezielle Erscheinungsform aggressiven Verhaltens. Es ist kein Mobbing, wenn es sich um einmalige Angriffe handelt, wenn zwei gleich Starke ihre Kräfte messen oder wenn verfeindete Menschen sich gegenseitig das Leben schwer machen. Zum Mobbing gehört, wie erwähnt, dass dieselbe Person, und zwar eine

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