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Abschied Von Freistatt

Titel: Abschied Von Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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der Kapuze verbarg und die Augen so fest geschlossen hielt, daß dicke Tränen hervorquollen. Aber sie schrie nicht auf und rief nicht den Namen ihres Gottes.
    Langsam ließ das Licht nach. Chenaya gab das Juwel zurück in die Börse und verbarg sie wieder in ihrer Kleidung. Sie erhob sich dann und blickte auf das Sonnenrad. Es loderte ebensowenig mehr im Feuer des Leuchtenden Vaters wie die Steine des Tempels. Aber in ihrer Seele fühlte sie sich ihm ganz nah.
    Sie hob einen der vielen Öltiegel auf, vorsichtig, um den Docht nicht zu ertränken, und setzte ihn in die Mitte des Altars.
    Danach zog sie einen kleinen Dolch aus ihrem Stiefel. Die silberne Klinge glänzte. Sie hob sie rasch und schnitt eine lange blonde Locke ihres Haars ab, die sie an den brennenden Docht hielt. Eine gleißende Flamme verschlang die Locke. Der Geruch des versengten Haars wirbelte mit dem Rauch nach oben, während Chenaya den Dolch als weitere Opfergabe auf den Altar neben den Öltiegel legte. Einen Augenblick danach wandte sie sich ab und verließ den Tempel.
    Ihr Pferd schnaubte, als es sie kommen sah. Sie nahm die Zügel und stieg auf, um nach Hause nach Landende zu reiten. Sie war noch nicht weit gekommen, da sah sie in der Dunkelheit einen metallenen Gegenstand auf dem Boden liegen, und zwar an der äußeren Ecke des Tempels. Sie warf einen Blick über die Schulter. Kein Mond schien am Himmel, kein Stern, nichts, was dieses Schimmern hätte hervorrufen können. Vorsichtig saß sie wieder ab.
    Es war ihr Dolch, er steckte mit der Spitze in der Erde. Mit offenem Mund beugte sie sich darüber. Kein Zweifel, es war ihr Dolch. Sie erhob sich wieder und blickte gedankenvoll die Straße hinunter. Keiner, auch nicht Freistatts geschicktester Dieb, hätte in den Tempel gelangen, den Dolch vom Altar nehmen und wieder herauskommen können, ohne daß sie das gemerkt hätte. Und wenn es einen solch perfekten Dieb gäbe, wäre er nicht so ungeschickt, den Dolch auf der Flucht zu verlieren.
    Sie runzelte die Stirn und dachte über das Schimmern nach, das ihr aufgefallen war. Jetzt war es verschwunden, ganz egal, aus welchem Winkel sie den Dolch betrachtete. Das verdammte Ding war im Schatten des Tempels kaum zu erkennen.
    Sie war zu müde für solche Rätsel. Es war spät, und sie hatte nicht mehr weit nach Hause. Wenn Savankala ihr Opfer nicht wollte, so würde sie es nicht hier im Schmutz liegen lassen. Es war ein guter Dolch. Sie beugte sich hinunter und streckte die Finger nach dem Griff aus.
    Plötzlich drehte sich alles um sie. Die Erde schien sich zu ihren Füßen zu öffnen, und sie stürzte in einen schwarzen Abgrund. Ein Schrei formte sich in ihrer Kehle. Sie grub die Zähne in ihre Lippe und rang das Verlangen zu schreien nieder. Sie fiel in diese seltsame Dunkelheit, tiefer und tiefer, bis sie irgendwo, weit unten oder weit voraus, ein grünliches Glühen entdeckte und eine Gestalt, einem Toten ähnlich, eingehüllt in sein Leichentuch. Dieses Ding fiel ebenfalls. Es fiel auf sie zu, kam mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit näher. Dann glitt das Leichentuch von seinem Kopf, und sie sah ein blasses, gräßliches Gesicht ohne Augen auf sie zurasen.
    Chenaya warf die Arme hoch, und der unterdrückte Schrei fand den Weg ihre Kehle empor. Es war sinnlos zu schreien, das wußte sie. Aber es gab kein Halten mehr.
    Doch als sie den Mund öffnete, fand sie sich wieder außerhalb des Tempels in der vertrauten Welt. Sie sank gegen die Tempelwand und kämpfte keuchend ihre Panik nieder. Sie sah kein Loch mehr, kein grünliches Glühen und keinen Toten. Nur den Dolch zu ihren Füßen.
    Sie starrte die Klinge an. Was auch immer soeben geschehen war, der Dolch hatte es ausgelöst. Ihre Fingerspitzen hatten den Griff nur berührt, und die Welt hatte sich verändert.
    Abrupt trat sie nach dem Dolch und sandte ihn klirrend in die Straßenmitte. Nichts geschah. Sie preßte die Hände auf den Mund und stand zitternd. Vielleicht war es eine Illusion gewesen, ein Wachtraum. Nein, ein Alptraum. Sie war so müde, aber sie durfte sich nicht gehen lassen, sie mußte sich besser in der Gewalt haben.
    Sie nahm den Dolch auf, steckte ihn zurück an seinen Platz in ihrem Stiefel und stieg wieder aufs Pferd. Der Ritt bis Landende war nicht mehr lang. Bald würde sie daheim sein, dann konnte sie ausruhen, nicht aber schlafen. Das würde später kommen. Zumindest würde sie zu Hause sein und ihren Vater und Dayrne wiedersehen.
    Aber als sie von der Tempelallee in

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