Abschied Von Freistatt
der Generale entlang. Seine Hufe klapperten forsch auf dem Ziegel- und Steinpflaster und hallten noch lauter auf den Holzplanken der winzigen Brücke, die den Splitterbach überspannte. Der Reiter hielt kurz inne. Abseits, zur Linken, lag die verkohlte Ruine des Hauses Kurds, des toten Vivisezierers.* Daneben stand ein neues Haus, grob gefügt aus zusammengetragenem Bauholz und Steinen. Lampenlicht drang durch die Spalten der in Eile gezimmerten Fensterläden, und rauhe Stimmen schallten durch die Tür. Der Geruch von Kalk und Sand umgab den Ort, und fremdartiges Werkzeug lehnte außen an den Mauern. Ein paar Wanderarbeiter, die an den neuen Befestigungsanlagen der Stadt arbeiteten, hatten sich wohl entschlossen zu bleiben, obwohl die Arbeit getan war.
Unvermittelt schwang die Tür einen Spalt weit auf, und jemand blickte heraus, aufgeschreckt zweifelsohne vom Geräusch der Hufschläge auf der Brücke. Der weiterziehende Reiter wurde wachsam beobachtet. Die Arbeiter hatten sich offensichtlich das Verhalten in dieser Stadt, in dieser Diebeswelt, rasch zu eigen gemacht.
Zur Linken standen die hohen, dunklen Silhouetten der Getreidespeicher der Stadt, kaum erkennbar in der Nacht, obwohl sie höher aufragten als die neue Mauer. In der Nähe brannten die Lampen der Straße der Roten Laternen, wo in Düfte gehüllte Frauen besondere Freuden anboten und ausgesuchte Qualen, je nach dem Verlangen ihrer Kunden und dem Gewicht ihrer Börse. Geziemende Anstrengungen waren unternommen worden, die neue Mauer um die Kornspeicher zu errichten, während die Freudenhäuser außerhalb geblieben waren.
Der Reiter dachte darüber nach und zuckte dann mit den Schultern. In Freistatt hätte man eher das Gegenteil erwartet.
Nach einer gewaltigen Bauleistung, über die im ganzen Reich gesprochen wurde, war die neue Mauer nun fertiggestellt. Sie umspannte die gesamte Stadt. Auf hochaufragenden Gebäuden brannten Wachfeuer, und Schatten bewegten sich in ihrem flackernden Schein. Die neuen, mit Eisenleisten beschlagenen Torflügel des großen Siegestors standen offen, aber ein Paar Standortsoldaten waren auf ihren Posten direkt hinter dem Tor.
»He da!« rief einer aus und trat hervor, seine Hand legte sich fast beiläufig um den Griff seines Schwertes. »Welcher Fremde besucht unsere Stadt zu einer solch unheiligen Stunde? Zieht diese verdammte Kapuze zurück. Zeigt Euer Gesicht!«
Haare und Kleider des Wächters verbreiteten den Geruch von Krrf, während er sich dem Reiter so weit näherte, daß er dessen Knie fast berührte, und seine Augen glänzten matt von der Droge, als das Fackellicht vom Wachhaus sich in ihnen spiegelte. Sein Unterkiefer hing ein wenig zu weit hinab, und er bewegte sich träge. Vermutlich war er süchtig.
Der Reiter wollte keine Auseinandersetzung, deshalb schob er die Kapuze ein wenig zurück und starrte den Wächter finster an, der hastig zurückfuhr. »Ich erbitte Eure Verzeihung, Lady!« flüsterte er. Rasch nahm er die Hand vom Schwertgriff und warf seinem Kameraden einen ängstlichen Blick zu. »Wir wußten nicht, daß Ihr es seid. Ihr könnt selbstverständlich passieren. Willkommen zu Hause!« Er verbeugte sich tief, und die Heimkehrerin ritt wortlos an ihm vorbei.
Der Karawanenplatz war um diese Nachtstunde leer. Auch der Landweg, obwohl man sich dessen hier nie sicher sein konnte, denn er lag zu nahe am Labyrinth, und man mußte auf jeden Schatten und jeden dunklen Winkel achten.
Auch auf dem Statthalterweg war es ruhig, und der Hufschlag des Pferdes klang unwillkommen laut auf den frisch erneuerten Pflastersteinen. Selbst in der Dunkelheit war die Arbeit an der kleineren inneren Mauer, die den Palast umgab, deutlich zu erkennen. Die Reiterin setzte ihren Weg entlang dieser Mauer fort.
Dort wo die Westtorstraße in den Statthalterweg mündete, versperrte unvermittelt eine Patrouille der Stadtwache, sechs uniformierte Männer, den Weg. Der älteste von ihnen, ein Mann dessen ergrauende Locken unter seiner Stahlkappe hervorquollen, offenbar der Hauptmann, hielt eine Laterne hoch und richtete ihr Licht auf den Reiter.
Ihr Schein glitzerte auf dem Ärmel aus Metallringen, der den linken Arm der Reiterin bedeckte, er fiel auf die Hand, die die Zügel hielt, und auf den Schwertgriff, dessen Parierstange in Form von Vogelschwingen gearbeitet war. Als sich die Reiterin im Sattel bewegte, öffnete sich ihr Umhang ein wenig.
»Wenn das nicht die Sonnentochter höchstpersönlich ist!« Der alte Mann ließ
Weitere Kostenlose Bücher