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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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und der Saal verdüstert sich. Aber dann fällt mir der Kakaobecher ein. Ich gehe zu meiner Bank zurück, um ihn wegzuräumen. Durch die Fenster fällt das Licht in hellgrauen Rechtecken auf den dunklen Linoleumboden. Gerade als ich zur Spüle gehe, um den Becher in den Müll zu werfen, entdecke ich etwas auf dem Boden. Es ist kaum zu sehen und hat sich zwischen dem großen Mülleimer und der Wand verkeilt.
    Im Dunkeln hocke ich mich hin und ziehe die Plastiktonne vor. Der längliche Gegenstand ist in einen fleckigen Lumpen gewickelt. Vorsichtig rolle ich das graue Tuchstück auf. Erst sehe ich nur den Griff und die Form der Klinge und glaube, es handele sich um eine kleine Feile oder eine Raspel. Aber es ist etwas anderes. Es ist ein Messer. Das schmutzige Tuch ist auch nicht irgendein Lappen, sondern ein alter, lila Slip.
    Mein Puls rast. Ich ziehe eine leere Plastiktüte unter der Spüle hervor. Vorsichtig lasse ich Messer und Stoff hineinfallen, rolle alles zusammen und stopfe das Bündel mit steifen Fingern in meine Tasche.

13. Kapitel
    Einige Tage später kommt ein Paket aus Schweden. Erst als ich es ausgepackt habe und mit den Geschenken zwischen den Beinen auf meinem Bett im Wohnheim sitze, geht mir auf, dass ich in dieser Woche Geburtstag habe. In dem Paket sind ein paar Tafeln Schokolade, eine kleine schwedische Fahne mit einem Fuß aus Holz, die man auf den Tisch stellen kann, eine CD , »Sven-Ingvars spielen Fröding«, und ein schönes Armband aus blauen und weißen Millefiori-Perlen. Außerdem eine Karte mit einem schlaftrunkenen Kätzchen, auf der alle meine fünf Freunde in Skardala unterschrieben haben.
    Zusammen mit Nikita esse ich die Schokolade und muss deswegen den Grund und das bevorstehende Datum preisgeben. Andernfalls droht sie damit, mich durchzukitzeln. Ich betrachte die CD und blättere im beiliegenden Textheft, wobei ich mich frage, ob es erfreulich oder bedauerlich ist, dass wir keinen CD -Player auf dem Zimmer haben. Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass es bedauerlich ist. Papa mochte Fröding.
    Am Nachmittag unternehme ich einen langen Spaziergang zu der großen Buchhandlung am Ende der schmalen Sackgasse. Wie peinlich, dass ich nichts nach Schweden geschickt habe. Ich habe auch nichts von mir hören lassen. Rasch wähle ich ein paar Kunstpostkarten, die ich meinen Freunden schicken werde.
    Ich bezahle die Karten und bleibe noch in der Buchhandlung. Ich fühle mich rastlos und traurig. Ich streife eine Weile ziellos herum, fahre beiläufig mit der Hand über einen glänzenden Umschlag und blättere zerstreut in einem Buch über Dechiffrierung, das mich kein bisschen interessiert.
    Ohne zu merken, wie ich dorthin gelangt bin, stehe ich auf einmal vor dem Café im Obergeschoss und schaue wieder zu dem True-Crime-Regal hinüber. Ich bin einfach meinen Füßen gefolgt. Sie haben mich hierhergeführt. Das Buch. Das Foto mit den vier toten Studentinnen.
    Aber als ich vor dem richtigen Regal stehe, findet sich dort nur eine drei Zentimeter breite, klaffende Lücke. »Real Oxford Mysteries« ist verschwunden.
    »Wir hatten nur ein Exemplar, und offenbar ist das Buch beim Verlag vergriffen«, sagt der junge Mann an der Information und betrachtet stirnrunzelnd seinen flimmernden Monitor. Er reibt sich das glänzende Kinn, zuckt mit den Achseln und deutet eine bedauernde Handbewegung an.
    »Sie könnten es vielleicht übers Internet oder in einem Antiquariat versuchen? Sorry, tut mir leid.«
    »Sorry, sorry, sorry«, murmele ich zwischen zusammengebissenen Zähnen vor mich hin, während ich wieder zurück an das True-Crime-Regal trete. Vielleicht murmele ich lauter, als mir bewusst ist, denn eine Frau mit Hut dreht sich nach mir um und sieht fast verängstigt aus. Ich gehe an dem Regal vorbei und lasse die Fingerspitzen über die Buchrücken gleiten. Über Fred und Rose West, Moira Hindley, Jack the Ripper und Peter Sutcliffe.
    »Wo bist du, wo bist du?«, flüstere ich und drücke die gesamte Buchreihe ein, so dass die Bände an die Rückwand stoßen. Ein anderer Kunde ist auf dem Weg in den Gang, in dem ich stehe, aber als er mich sieht, macht er auf dem Absatz kehrt und verschwindet. Dort, wo »Real Oxford Mysteries« die Lücke hinterlassen hat, schiebe ich die Bücher mit unsanften Bewegungen hin und her – und da entdecke ich es.
    Ich weiche so abrupt zurück, dass ich gegen das Regal hinter mir stoße. Ungläubig starre ich auf die Stelle und reiße entsetzt die Augen auf.

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