Abschiedskuss
Proben fatalerweise an dasselbe Labor geschickt wurden. Eine der Betroffenen beendete ihre Arbeit bei der Polizei. Sie war vollkommen geschwächt. Es war wie ein Lauffeuer oder die Pest.«
»Oder ein Fluch«, sage ich.
18. Kapitel
»Aber warum hast du mir bis jetzt nichts von deiner Mutter erzählt?«
Nikitas Stimme ist vor Mitgefühl ganz belegt. Sie hält mich mit beiden Händen an den Schultern. Das könnte einem vielleicht zudringlich vorkommen, ist es aber nicht. Sie darf mich an den Schultern fassen, und ihre Schokoladenaugen dürfen mein blasses Gesicht mit besorgter und fürsorglicher Miene betrachten.
Wir stehen in unserem Zimmer mit dem Wasserschaden im Mill Creek Manor. Errol hat uns geholfen, die Farbe von den Wänden zu kratzen und neue Farbe zu besorgen. Nikita und ich haben den Tag damit verbracht, die rissigen Flächen weiß zu streichen. Ein stechender, seifiger Farbgeruch liegt in der Luft.
Man kann sich gut unterhalten, wenn die Hände mit Arbeit beschäftigt sind und man sich nicht in die Augen zu schauen braucht. Deswegen konnte ich von Mama erzählen.
»Ich glaube, ich wollte nicht, dass das zwischen uns steht«, sage ich schwach. »Dass du Mitleid mit mir hast. Irgendwie so.«
Sie lässt mich einen Augenblick los und schließt mich dann nur umso fester in die Arme. Sie drückt mich an ihren warmen Körper und wiegt mich langsam hin und her. Die weißen, erst halb getrockneten Farbflecken auf meinem Pullover färben auf sie ab, aber das ist ihr egal. Ich erwidere ihre Umarmung und lehne mich mit meinem ganzen Gewicht an sie. Sie hätte die Kraft, mich hochzuheben.
»Was hast du vor?«, murmelt sie.
»Ich weiß nicht. Aber ich muss herausfinden, was passiert ist«, sage ich.
»Gut. Sehr gut. Das hat deine Mutter verdient.«
»Ja«, erwidere ich erstaunt. »Ja. Das hat sie.«
Überrascht es mich, dass Nikita nichts von der Sache mit meiner Mutter wusste? Dass Ashley nichts erzählt hat? Nein. Ash ist vielleicht Oxfords schlimmste Klatschtante, aber an unserer Freundschaft zweifle ich nicht.
Nikita und ich haben neue Bettbezüge gekauft und unsere Decken und Kissen in den riesigen Waschmaschinen im Waschsalon gewaschen. Von Nikitas angeblicher Schuld ist nicht mehr die Rede, da Errol seine Behauptung widerrufen hat. Mehrere Leute können beschwören, dass Nikita an diesem Tag nicht zu Hause war. Außerdem scheint die Attacke hauptsächlich gegen Nikita selbst gerichtet gewesen zu sein.
Wir haben nur recht wenige Spekulationen darüber angestellt, wer der Schuldige sein könnte. Vielleicht ist das unsere stillschweigende Strategie, um vorwärts zu blicken und diesen fatalen Vorfall vergessen zu können. Wir verdrängen das Unbehagen, stürzen uns in die Arbeit und tun so, als sei nichts.
Beschädigte Wände lassen sich reparieren und schmutzige Laken ersetzen. Aber Nikitas Zeichnungen und Gemälde sind für immer verloren.
Wie systematisch und destruktiv der Eindringling bei der Vernichtung ihrer Mappe vorgegangen ist, entdeckten wir erst, als eine der Bewohnerinnen unseres Korridors atemlos vor unserer Tür stand und klopfte.
»Kommt«, rief sie. »Kommt schnell. Der ganze Garten ist voll mit zerrissenen Zeichnungen. Ich glaube, es sind deine.«
Wir ließen unsere Farbroller in die Wannen fallen und rannten los.
Dort unten im dornigen Gebüsch lagen die Arbeit mehrerer Jahre systematisch in Streifen gerissen. Sorgfältig gezeichnete Gesichter in den Schmutz getreten. Kunstvoll gemalte Körper zerfetzt, hasserfüllt zerstückelt. Nikitas leuchtende Farben von der Feuchtigkeit zerstört, in wässrigen Rinnsalen vom Papier tropfend wie dünnes Blut, das von der Erde aufgesaugt wird. Müll. Wertlose Papierfetzen, die sich zwischen Dornengestrüpp verfangen haben.
Nikita schwankte kein bisschen. Sie streckte ihre Hände nicht zur Erde aus, versuchte nicht, die Reste zusammenzuraffen. Sie stand einfach da und schaute zu Boden. Ich stand etwas hinter ihr und sah, wie sich der stolze Nacken beugte. Eine Geste der Resignation, die sich sofort verflüchtigte, als sie in dem nebligen Halblicht tief Luft holte. Es war das erste und letzte Mal, dass ich Nikita eingeschüchtert und geknickt sah.
Es ist Spätnachmittag, als ich meine Tasche über die Schulter hänge, um einen Spaziergang zu unternehmen. Ich muss einiges einkaufen. Wir haben alles Essbare, das sich im Zimmer befand, weggeworfen, man weiß schließlich nicht …
Nein. Ich will diesen Gedanken gar nicht erst denken.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher