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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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des Gesichts wird einen Augenblick lang sichtbar, ehe das Haar in fließender Bewegung über die Wange streift und die Gesichtszüge wieder verdeckt. Es ist nicht Mama. Das Haar ist zu lang und hat die falsche Farbe …
    Nikita! Ich werfe mich nach vorne und strecke die Hände in das schmutzige Badewasser, obwohl ich noch meinen Mantel anhabe.
    Eine Welle schwappt über den Rand der Wanne, und meine Hosen werden schwer vor Nässe. Das Wasser ist warm, aber nicht heiß. Nikitas Körper unter der Oberfläche fühlt sich glatt und kalt an. Ich mühe mich damit ab, ihr meine Arme unter die Achselhöhlen zu schieben, um sie hinter ihrem glatten Rücken zu umfassen. Wie weich sie ist, fast wie ein Schwamm …
    Dann richte ich ihren Oberkörper auf. Er hängt kraftlos nach vorn über meine Schulter gelehnt, das Haar ist ein dicker nasser Zipfel, und ihr Mund ruht an meinem Hals. Ich sitze halb auf dem glatten Fußboden in einer unmöglich verdrehten Stellung und muss mit den Absätzen Halt suchen, um nicht wegzurutschen. Ich kämpfe mit diesem Körper, bekomme ihn nicht in den Griff, kein Lebenszeichen, ich klopfe ihm auf den Rücken, nein, ich hämmere, ich schlage.
    »So schön«, flüstert das tropfende Wesen tonlos an meinem Ohr. Der kalte Mund berührt meinen Hals. Das hier ist nicht Nikita.
    Ich lasse los und schiebe sie von mir weg, es ist ein Impuls, ich will sie nicht verletzen. Als ihre starren Glieder auf das Emaille der Badewanne prallen, kneife ich die Augen zusammen, um mich gegen ihre Schmerzen zu wehren. Das weißgraue Wasser schlägt um sie herum Wellen, aber es ist zu wenig übrig, um über den Rand schwappen zu können. Ihr Kopf sinkt nach unten und wird wieder unsichtbar, aber die Arme treiben nach oben. Sie streckt ihre gekrümmten Finger zur Decke, starr, bläulich und fleckig.
    Und etwas anderes ragt über die Wasseroberfläche. Der runde Bauch einer Schwangeren. Eine perfekte Wölbung, kompakt und am Ende der Schwangerschaft. Eine pralle Kugel mit gespannter streifiger Haut.
    Sie versucht noch etwas zu sagen, aber ich höre nur ein diffuses, gurgelndes Geräusch unter Wasser. Ich muss angewidert den Kopf abwenden, als ich vor der Wanne auf die Knie falle, mich über sie beuge und den Arm in die graue trübe Brühe tauche. Ich schiebe die Hand unter ihren Nacken, helfe ihr, nein, zerre sie in eine sitzende Stellung hoch.
    Ich will nichts sehen. Will diesen von Wasser aufgedunsenen, fleckigen …
    »Dass ihr mittlerweile Bäder auf dem Zimmer habt«, sagt die tonlose Stimme, die gleichzeitig so anrührend normal klingt, dass ich meinen Schrecken vergesse. Ich drehe den Kopf herum und sehe sie direkt an.
    Sie ist nur einige Handbreit von meinem Gesicht entfernt. Die Arme hält sie immer noch starr von sich gestreckt. Die Nägel sind blauviolett. Ich zwinge mich, nicht auf die Stellen zu schauen, an denen ihre Haut so aufgeweicht ist, dass sie sich löst.
    Das herzförmige Gesicht kommt mir sehr bekannt vor, es hat etwas Niedliches, Unschuldiges. Geschwungene Brauen, dichte, dunkle Wimpern und noch ein Hauch von Rosa auf den Lippen. Aber sie ist müde, sehr müde. Die Ringe um ihre Augen haben denselben Farbton wie alte blaue Flecken. Ich habe solche von Müdigkeit verursachten Ringe schon woanders gesehen.
    Sie verzieht die Lippen und lächelt mich an. Ihre Zähne sind schwarz.
    Das sieht ekelerregend aus. Ekelerregend und … auch wieder vertraut. Ich lasse sie nicht los. Ich lächele manisch zurück. Es ist nicht gefährlich, sage ich mir immer wieder vor, überhaupt nicht gefährlich, sie weiß selbst nicht, wie sie aussieht. Die Zähne sind einfach auf die Art schwarz, wie Zähne auf einem Negativ schwarz sind, auf alten Kleinbildfilmen.
    Eine Fotografie. Ich kann diesem Gedanken nicht folgen, da im Zimmer die Musik wieder beginnt.
    Borderline … feels like I’m goin’ to loose my mind.
    Sie hat die Augen verdreht, so dass man nur noch das Weiß sehen kann, und hängt bleischwer auf meinem Arm. Es zieht sie nach unten, ins Wasser.
    »In welchem Jahr befinden wir uns?«, flüstere ich rasch. Keine Antwort. Ich muss die Stellung ändern und schiebe meine andere Hand unter ihren Kopf, um sie zu stützen. Keine Reaktion. Sie ist starr, sie ist bereits auf dem Weg an einen anderen Ort. Ich überwinde meinen Ekel und tätschele ihr leicht die Wange, streiche ihr übers Haar. Eine nasse Strähne bleibt an meiner Hand kleben, verfängt sich zwischen meinen Fingern. Ich schüttele sie, und das

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