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Abschiedskuss

Abschiedskuss

Titel: Abschiedskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Hellberg
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aufsteigt. Sie hat keine Form, keine definierbare Farbe, aber ich sehe sie. Erkenne die Unruhe. Das Kind? Das ist Emmas letzter Gedanke.
    Etwa eine Stunde später erleidet Harriet dasselbe Schicksal. Dann Joanna. Mary überlebt die Nacht, bricht aber am nächsten Morgen im Frühstückssaal zusammen.
    In Emmas Mundwinkeln hängt weißer Schaum. Ich kann ihre bleiche, kalte Stirn nicht berühren. Jetzt ist es vorbei, jetzt müsstest du Frieden gefunden haben, denke ich, aber ich weiß, dass es nicht so ist. Noch hat sie keinen Frieden gefunden.
    Emmas tote Hand ruht jetzt auf meiner Stirn. Ich bin wieder in meinem eigenen Bett. Während der ganzen Zeit war das tosende, brausende Geräusch des Wassers zu hören. Es verstummt erst, als ich erwache.

27. Kapitel
    Ich muss unbedingt mit Inspektor King sprechen.
    In dem Augenblick, in dem dieser Gedanke bis in meinen leichten Schlaf vordringt und mich mit der Betonung auf muss, muss, muss umkreist, klopft es vorsichtig an der Tür, und ich erwache gänzlich.
    »Telefon. Ein Anruf für Maja«, sagt Errol hinter der geschlossenen Tür. Ich stolpere aus meinem klammen, verschwitzten Bett, bemerke, dass Nikita noch immer tief und fest schlummert, greife im Dunkeln nach meinem Morgenmantel und eile hinter Errol her zur Pförtnerloge, in der sein Frühstück kalt wird. In der Morgendämmerung begegnen wir niemandem.
    »Entschuldigen Sie, Errol …«, sage ich heiser.
    »Ach was. Früher hatte ja kaum einer der Bewohner ein Handy. Da waren wir ständig wegen irgendwelcher Anrufe und Nachrichten auf Achse. Aber die Zeiten sind lange vorbei. Sie können da drin telefonieren.«
    Das enge Büro des Hausmeisters ist mit Holzimitat im Stil der Siebzigerjahre verkleidet, und an manchen Stellen löst sich die Beschichtung. Drei Spinde stehen in der Ecke, und der Fernsehapparat ist so diskret platziert, dass er vom Gang vor der Pförtnerloge aus nicht zu sehen ist. Ein Regal ist mit Dingen des täglichen Bedarfs vollgestopft, die man eventuell gerade dann gebrauchen könnte, wenn alle Läden geschlossen haben. Oder wenn man, nach tagelangem intensiven Büffeln, keine Lust mehr hat, in die Stadt zu gehen: Tampons, Dosensuppen und Kekse. Kleine Tüten mit Käsegebäck. Und natürlich Teebeutel. H-Milch. Alles zum Selbstkostenpreis.
    Errol führt mich zu dem aufgeräumten Schreibtisch, deutet auf den neben dem Telefon liegenden Hörer, greift sich seine Teetasse und lässt mich allein. Die Polsterung des Drehstuhls ist aufgeplatzt und notdürftig mit silbernem Klebeband repariert. Der Stuhl ist bequem.
    Der Hörer riecht nach Erde, Nähmaschinenöl, älteren Männern, aber nicht unangenehm. Ich muss nach dem richtigen Wort suchen … Er riecht nach Arbeitern. Der Telefonhörer riecht nach Arbeitern.
    »Entschuldigen Sie, dass ich so früh anrufe. Aber ich muss Sie umgehend sprechen, Maja. Wo sind Sie heute anzutreffen?«
    Es ist Kriminalinspektor King. Fast kann man Brightons Wellen im Hintergrund rauschen hören.
    »Ich … ich wollte Sie heute auch anrufen!«
    »Ach? Ist etwas passiert?«, fragt King ernst.
    Ich kaue auf meiner Unterlippe.
    »Ja … nein, nichts Konkretes … ich wollte einfach nur mit Ihnen sprechen«, sage ich und höre, wie kindisch das klingt. Egal!
    »Ich bin den ganzen Nachmittag in der Galerie des Mary-Magdalene-Instituts«, fahre ich fort. »Ich muss mithelfen, eine wichtige Ausstellung vorzubereiten. Könnten Sie vielleicht dorthin kommen, können wir vielleicht dort über alles sprechen?«
    Eine Fischmöwe kreischt ganz in der Nähe von Inspektor King. Steht er vielleicht mit seinem Handy im Freien? Ich stelle mir vor, wie er über das morgendlich menschenleere Pier schaut.
    »Gut«, sagt er. »Gut, dass Sie unter Leuten sein werden.«
    Der Hörer wird plötzlich eiskalt in meiner Hand.
    »Warum? Können Sie mir nicht noch mehr sagen?« Meine Stimme wird plötzlich zu einem krächzenden Flüstern. Ich habe das Gefühl, dass mein Mund voller Sand ist, und bekomme die Worte kaum über die Lippen.
    »Hm«, murmelt er. Ich sehe sein Gesicht mit den gerunzelten Brauen vor mir. »Also, Sie sagten doch, dass Ihre Mutter in Oxford gewesen sei? Dass Sie nicht wüssten, warum, aber dass dieser Umstand irgendwie von Bedeutung sein müsse? Sie hatten recht. Dann ist da auch noch etwas anderes.«
    Ich weiß nicht, was ich erwidern soll. King fährt fort:
    »Ich kann um zwei in Oxford sein. Ich komme direkt in diese Galerie. Aber können Sie bis dahin etwas für mich tun,

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